PORTRAIT
: „Die Zensur wird durch Kugeln hergestellt“

■ Der kurdische Nationaldichter Musa Anter wurde im türkischen Diyarbakir von einem Killerkommando erschossen

Istanbul (taz) — Schon zu Lebzeiten war der kurdische Schriftsteller Musa Anter ein Symbol. Ein Symbol für den Widerstandswillen und die Lebenskraft des kurdischen Volkes. Musa Anter war ein Stachel im Fleisch des herrschenden Regimes in der Türkei, das mit Militär und Terror der kurdischen Nationalbewegung den Garaus machen will. Musa Anter mußte beseitigt werden. Seine Mörder lauerten ihm Sonntag abend im kurdischen Diyarbakir auf. Mit Maschinenpistolen wurde er niedergestreckt.

Musa Anter, der in Istanbul lebte, war vor wenigen Tagen zu einem Kultur- und Kunstfestival nach Diyarbakir gereist, auf Einladung der dortigen Stadtverwaltung. Gleich nach seiner Ankunft hefteten sich Zivilpolizisten an seine Fersen. Wie üblich nach politischen Morden in der Türkei — allein im Lauf der vergangenen sieben Monate sind neun Journalisten umgebracht worden — fehlt auch nach dem Mord am Sonntag von den Tätern jede Spur. Statt dessen wurden Korrespondenten der Zeitung Söz, die über Polizeifunk von dem Mord erfahren hatten und zum Ort des Geschehens reisten, verhaftet und zuerst einmal zur Folter auf das Polizeipräsidium gebracht.

Musa Anters Biographie steht für die Geschichte des kurdischen Volkes. Seine auf türkisch publizierten „Erinnerungen“ waren ein Auflagenrekord. Kurdische Jugendliche lernten von ihm die Geschichte ihres Volkes, die von den offiziellen Lehrbüchern verbannt ist. Musa Anter kannte türkische Polizeiwachen und Gefängnisse. Schon 1959 saß er im Kerker ein. Nach jedem Militärputsch in der Türkei pflegte man ihn festzunehmen. Nach jedem Putsch haben die Militärs in der Türkei einen Intellektuellenfriedhof hergerichtet. Die Mehrheit der türkischen Intellektuellen war zwar physisch quicklebendig — doch sie schwiegen, sie paßten sich der Friedhofsruhe an. Der Kurde Anter war eine Ausnahme.

Anter war Gründungsmitglied der kurdischen „Arbeitspartei des Volkes“, er war Vorsitzender des Kurdischen Institutes und schrieb regelmäßig Kolumnen für die Istanbuler Tageszeitung Özgür Gündem. Mit Musa Anter sind in den vier Monaten des Erscheinens von Özgür Gündem vier Mitarbeiter der Tageszeitung ermordet worden. „Die Zensur wird durch Kugeln hergestellt“, kommentiert der türkische Presserat. Denn Özgür Gündem ist die einzige Tageszeitung, die frei über den schmutzigen Krieg in Türkisch-Kurdistan berichtet und sich nicht der Selbstzensur der türkischen Mediengiganten in Sachen Kurdistan unterordnet.

Musa Anter war ein liebenswürdiger alter Mann, der das Lächeln nie verlernt hat. Die Bitterkeit, die alten Männer zu eigen ist, die ein Leben lang wegen ihrer politischen Auffassungen verfolgt werden, war ihm fremd. Nie hat er sich Pessimusmus hingegeben. Bekannt war der 74jährige eher als Spaßvogel. Er war zu intelligent, um die herrschenden türkischen Politiker zu hassen — sie kamen ihm zutiefst lächerlich vor. In seiner Zeitungskolumne vom 1. September schrieb er: „In der Türkei teilen Journalisten das gleiche Schicksal wie Hirten. Der Hirte wird von Sondereinheiten der Armee erschossen, während er seine Herde hütet, und die Mörder werden belohnt. Der Journalist wird in der Stadt von der Counter-Guerilla erschossen, und Ministerpräsident Süleyman Demirel verteidigt die Mörder mit den Worten ,Das sind Terroristen im Journalistengewand‘. Wie dem auch sei — der Tod ist Gottes Gebot. Es ist schließlich ein Problem für den Mörder und nicht für den Ermordeten.“

Der Mord an Musa Anter ist eine Kriegserklärung an die Kurden. Vor einer Woche schrieb Anter als Reaktion auf die Drohungen des türkischen Ministerpräsidenten Demirel, hart gegenüber den Kurden durchzugreifen: „Werter Herr Ministerpräsident, wir haben nichts mehr zu verlieren.“ Ömer Erzeren