Bewährungsstrafen für Iraklieferanten

Thyssen-Manager lieferten Turbopumpen für Scud-B-Raketen/ Bewährungsstrafen zwischen 4 und 12 Monate/ Geständnis in letzter Minute/ Staatsanwalt beklagt „erschreckend geringen“ Strafrahmen  ■ Aus Bochum Walter Jakobs

Wegen des illegalen Exports von Raketenteilen in den Irak hat die Bochumer Wirtschaftsstrafkammer gestern drei Thyssen-Manager zu Freiheitsstrafen zwischen 4 und 12 Monaten verurteilt. Alle Strafen wurden wegen der „günstigen Sozialprognose“ zur Bewährung ausgesetzt. Die Hauptverantwortung für die Anfang 1990 erfolgte Lieferung der 35 Turbopumpen, die der Irak für den Nachbau der sowjetischen Scud- B-Raketen vorgesehen hatte, trägt nach Überzeugung des Gerichts das 50jährige Vorstandsmitglied der Thyssen-Industrie AG, Ulrich Berntzen. Während die beiden Mitangeklagten Uwe Kirchner und Peter Pawlitzki, zum Tatzeitpunkt Manager der Thyssen-Maschinenbau GmbH in Witten, wo die Pumpen hergestellt wurden, dem Thyssen- Unternehmen nicht mehr angehören, übt der zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilte Berntzen sein Vorstandsamt weiter aus.

Zum überraschend schnellen Ende des Prozesses trug der im Thyssen-Gefüge ranghöchste Angeklagte gestern selbst mit einem „Geständnis“ entscheidend bei. Gleich zu Beginn der Verhandlung räumte Berntzen erstmals ein, daß er das Pumpengeschäft gegen den Willen der beiden Mitangeklagten während einer Geschäftsführersitzung im August 1989 durchgesetzt hat. Einen entsprechenden Ausstiegsantrag (siehe taz v. 19.9.92) von Kirchner lehnte er seinerzeit rundweg ab. Über die geplante militärische Verwendung der Turbopumpen bestand zu diesem Zeitpunkt bei den beteiligten Managern nach Affassung des Gerichtsvorsitzenden Hajo Regul „Gewißheit“. Das gehe schon aus dem Vermerk hervor, den die beiden GmbH- Manager nach einem Besuch im Irak gefertigt hatten. Der Einbau in die Raketen wird darin ziemlich unverblümt angesprochen. Diesen Vermerk sollte Pawlitzki auf Anweisung seines Vorgesetzten Berntzen vernichten. Doch der hielt sich „zu meiner eigenen Absicherung“ nicht daran. Ohne diesen Vermerk wäre die Aufklärung des üblen Geschäftes wahrscheinlich nie gelungen.

Die von den irakischen Auftraggebern angegebene Verwendung der Pumpen in der Petrochemie kam den Thyssen-Managern schon bei Anbahnung des Geschäftes im Jahr 1988 spanisch vor. Zu sehr wiesen die Material- und Konstruktionsanforderungen in Richtung Raketentechnik. Gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn, der zuständigen Genehmigungsbehörde, hielt man indes bis zum Ende dicht. Die völlig überforderten staatlichen Kontrolleure reagierten wie erhofft: Im Schnellverfahren lieferte Eschborn eine sogenannte Negativbescheinigung, die die ungehinderte Ausfuhr der Pumpen für die „Petrochemie“ zuließ.

Angesichts dieser vorsätzlichen Täuschung der Behörde fiel das Strafmaß gestern überraschend milde aus. Die größte Verantwortung dafür trägt die Politik. Das zum Tatzeitpunkt 1990 geltende Außenwirtschaftsgesetz sah als Höchststrafe — inzwischen auf 10 Jahre erhöht — lediglich 3 Jahre Haft vor. Ein „erschreckend geringes Strafmaß“, wie Oberstaatsanwalt Bernd Bieniossek während seines Plädoyers sagte. Um so mehr überraschte der Strafantrag des Oberstaatsanwaltes, der selbst nicht einmal diesen Strafrahmen ausschöpfte. Bewährungsstrafen von 16 Monaten für Berntzen und jeweils 6 Monate Haft für Pawlitzki und Kirchner schienen dem Ankläger angemessen für die Beihilfe zum Bau von Massenvernichtungsmitteln. Als strafmildernd werteten Staatsanwaltschaft und Gericht insbesondere die Geständnisse. Selbst das späte Geständnis von Berntzen angesichts einer erdrückenden Beweislage sei „hoch zu berücksichtigen“, so der Oberstaatsanwalt.

Trotz des milden Urteils erwägt die Verteidigung eine Revision. Die Verteidiger aller drei Angeklagten sind der Auffassung, daß es sich bei dem Geschäft schlimmstenfalls um eine „Ordnungswidrigkeit“ handeln könne, weil die auswärtigen Beziehungen durch den Deal „nicht erheblich gestört“ worden seien. Eine solche Störung sei aber nach dem damals geltenden Recht Voraussetzung für eine Straftat gewesen.