Hilfe für Kinder und Jugendliche in Not

■ Seit elf Jahren bieten die Krisendienste der Senatsverwaltung für Jugend kurzfristige Beratung rund um die Uhr/ Seit der Vereinigung hat sich die Zahl der Hilfesuchenden beinahe verdreifacht/ Die Hälfte kommt aus dem Ostteil der Stadt

Berlin. Auf dem Treppenabsatz stehen Kinderschuhe, darüber hängt ein Sortiment von bunten Jacken und Pullovern. Der Kindernotdienst in Kreuzberg muß seinen Kleidervorrat immer wieder neu aufstocken, denn oft bringt die Polizei hier Ausreißer ohne Gepäck vorbei. Seit elf Jahren bietet der Notdienst rund um die Uhr Hilfe in akuten Krisensituationen. »Meistens kommen unsere Kinder aus geschiedenen Ehen oder aus Familien, wo die Eltern sich ständig streiten«, sagt die Leiterin, Gisela Chenetir. »Häufig sind das sozial schwache Familien, in denen die Konflikte eskalieren, wenn die Wohnungen zu klein sind oder die Eltern arbeitslos.« Seit der Wiedervereinigung ist die Nachfrage nach dem Kindernotdienst stark gestiegen. 1990 riefen dort nach Angaben der Senatsverwaltung für Jugend 3.800 Ratsuchende an, fünf Jahre zuvor waren es nur 1.344. Fünfzig Prozent der Hilfesuchenden kommen aus dem Ostteil. »Viele Familien in den neuen Bundesländern haben ihre Identität verloren, weil die Eltern arbeitslos geworden sind«, erklärt Frau Chenetir. »Andere sind in den Westteil gezogen, obwohl die Kinder lieber dort bleiben wollten, wo sie alle ihre Freunde hatten, und daraus entstehen immer schärfere Konflikte.« Außerdem wirke Berlin wie ein Magnet auf Jugendliche aus den neuen Bundesländern. »Vor allem diese Trebekinder tauchen in regelmäßigen Abständen wieder bei uns auf.« Helfen kann der Notdienst immer nur kurzfristig. Wenn die telefonische Beratung nicht ausreicht, versuchen die Psychologen und Sozialpädagogen, die Probleme durch Gespräche mit den Kindern und Eltern zu lösen. In schlimmen Fällen, etwa bei Verdacht auf Mißhandlung oder sexuellen Mißbrauch, werden die Kinder im Notdienst untergebracht. Nur vierzig Prozent der Kinder kehren in ihre Elternhäuser zurück, die übrigen werden in der Regel in einem Heim untergebracht.

Nicht nur der Kindernotdienst verzeichnet eine stärkere Nachfrage, auch beim Jugendnotdienst riefen 1990 fast 4.000 Hilfesuchende an. »Das Problemspektrum reicht von der Taschengeldfrage und dem Ärger mit den Ausgehzeiten bis zu schlimmen Gewalterfahrungen«, erklärt Adam Ostertag, der sowohl die telefonische Beratungsstelle des Jugendnotdienstes in Charlottenburg als auch die Aufnahmestelle in Pankow leitet. »Etwa die Hälfte kommt aus dem Ostteil. Viele, die bei uns landen, haben eine lange Trebezeit hinter sich oder sind schon kriminell gewesen.« 30 Prozent der Jugendlichen sind Ausländer, denn der Notdienst ist hier die erste Anlaufstelle für jugendliche Asylbewerber. Aber auch junge Ausländer, die in Berlin aufgewachsen sind, suchen dort Hilfe. »Die finden sich oft nicht zurecht, weil sie zwischen zwei Kulturen stehen, vor allem die türkischen Mädchen«, erklärt Ingrid Walper. Sie ist für den 1991 eingerichteten Mädchen-Notdienst verantwortlich, dem zehn Betten zur Verfügung stehen. »Weil diese Mädchen verprügelt oder vergewaltigt worden sind, sind sie oft völlig verschreckt und trauen sich nicht mehr auf die Straße, wenn wir sie nicht begleiten«, erzählt sie. Die sechs Mitarbeiterinnen würden dafür bei weitem nicht ausreichen. Wegen des Sparprogramms des Senats wird es jedoch vorläufig keine neuen Stellen für die Notdienste geben. Beide Krisendienste kosten schon jetzt jährlich 9,5 Millionen Mark, aber beide werden auch immer stärker beansprucht. Für das nächste Jahr rechnen der Kinder- und Jugendnotdienst mit je 5.000 Anrufen. Miriam Hoffmeyer