DIE MESSLATTE DES PRÄSIDIALEN MACHISMO Von Andrea Böhm

Eigentlich sollte die Presse Wahlkämpfe ignorieren, wenn sie noch etwas Anstand in den Knochen hätte. Dann bliebe einem einiges erspart. Zum Beispiel Bill Clinton, der täglich zum Morgenlauf antritt, sobald genügend Tageslicht für die Photographen und Kameraleute da ist. Dabei sollte der Mann besser Bogenschießen. Wer Clinton schon mal in kurzer Hose im Schlurfschritt gesehen hat, der kann nur hoffen, daß er nicht so regiert wie er joggt.

Oder George Bush, der bei Shakehands-Touren mit kugelsicherer Weste unterm Hemd herumläuft und folglich so beweglich-dynamisch wirkt wie Polens General Jaruzelski. Neulich ist ihm bei einer Wahlkampfveranstaltung in einer Turnhalle auch noch die Klimaanlage ausgefallen. Der Präsident im klatschnassen Hemd — aus allen Poren transpirierend. Wer will so was schon sehen. Was soll's, wenn sich Wahlkampfberichterstattung schon nicht vermeiden läßt, dann konzentrieren wir uns zumindest auf den einzig wichtigen Punkt. Ist Bill Clinton ein Feiglingwaschlappendrückeberger, weil er den Vietnam-Krieg geschwänzt hat? Mit dieser Frage, so finden Bush und Quayle, sollten sich die Wähler beschäftigen, anstatt ununterbrochen über Arbeitslosigkeit und Rezession zu jammern.

Der Demokrat aus Arkansas hat sich tatsächlich einiges einfallen lassen, um 1969 der Einberufung in die Armee zu entgehen. Das kann man zum einen einem gesunden Maß an Menschenverstand zuschreiben, zum anderen Clintons Überzeugung, daß die Schlächterei in Vietnam nun das letzte war, wofür er seine Knochen hinhalten wollte. Statt dessen hat er mitgeholfen, Aktionen gegen den Vietnam-Krieg zu organisieren. Bei der Teilnahme hielt sich „Slick Willie“ allerdings vornehm zurück — aus Angst, das könnte seinen Ambitionen schaden. Der Mann wußte damals schon, mit 23 Jahren, was er wollte: Präsident werden.

Dabei können ihm die Republikaner nicht einmal vorhalten, daß es übertriebene Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben war, die Clinton aus der eigenen Armee fernhielt. Der Gouverneur von Arkansas unterbricht, wenn es sein muß, seine Wahlkampftour, um zu Hause Hinrichtungsbefehle zu unterzeichnen. Soll keiner sagen, er wäre auch noch ein Weichling im Umgang mit Verbrechern.

Um die Meßlatte des präsidialen Machismo zu überqueren, reicht das in den Augen mancher Superpatrioten nicht aus. Amerikas pensionierter Oberrambo Norman Schwartzkopf möchte nur einen kriegserprobten Präsidenten im Weißen Haus sehen; George Bush wird nicht müde, detailliert seine Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg zu schildern und läßt sich im Wahlkampf gerne als „Kriegsheld“ titulieren; und Dan Quayle kriegt die Klappe gar nicht weit genug auf, um Bill Clintons Kampfkraft anzuzweifeln. Just an diesem Punkt hat sich dann irgendeiner aus der Presse daran erinnert, daß Dan Quayle Vietnam auch nur dem Namen nach kennt. Ein bißchen Recherche und Aktenstudien ergaben, daß der Vize-Präsident dank der Verbindungen seiner einflußreichen Familie der Einberufung in die Armee entgangen ist und sich statt dessen in die Nationalgarde seines Heimatstaates Indiana zurückgezogen und den Jungens in Vietnam bestenfalls die Daumen gedrückt hat. Well, Dan, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Sch... werfen, sonst verliert er die Sicht — und demnächst auch den Vizepräsidentensessel unterm Hintern.