GASTKOMMENTAR
: Endokrine Geschäfte

■ Der Handel mit Organen Verstorbener war kein Monopol des DDR-Außenhandels

Über 30.000 Hypophysen soll die ehemalige DDR Jahr für Jahr in den Westen exportiert haben, Hypophysen, die den Toten ohne Wissen der Angehörigen entnommen und zum Wohle der DDR-Devisenbilanz verkauft wurden. Ein Handel, der vor Augen führt, daß dem Stasi- Staat auch die Totenruhe nicht heilig, sondern verkäuflich war. So jedenfalls „Report“ München. Das Magazin unterlegt seinen Bericht mit einem schauerauslösenden Blick in die Kühlkammer, um dann nicht minder effektvoll auf die Instrumente und Apparaturen des pathologischen Seziernariums zu schwenken. Die Zustände scheinen in der Tat verheerend gewesen zu sein. Unerwähnt jedoch blieb, daß das Report-Team sich vergeblich bemüht hatte, einen Kronzeugen aus dem Westen zu bestellen, der den — offenbar systematisch betriebenen — Handel mit menschlichen Organen ethisch überzeugend zu kommentieren gewagt hätte.

So blieb die Anklage gegen diese menschenverachtende Praxis im Ost-West-Warengeschäft merkwürdig unfertig. Denn daß die Entnahme von Hypophysen, Augenhornhäuten, Gehörknöchelchen, selbst ganzen Skeletten Verstorbener kein Monopol der DDR war, muß Report München klargewesen sein. Beleg dafür sind zahlreiche Medienberichte, zum Beispiel eine Reportage in tempo von März 1986, wo der Präparator eines pathologischen Instituts mit Einverständnis seines Chefs schlangestehenden Pharmavertretern, Orthopäden und Firmen des medizinischen Bedarfs Prostata, Augenhornhäute, Wirbelsäulen und Zwerchfälle verscherbelt. Diese Dienste sind illegal, dafür aber profitabel. Sie verletzen die Würde der Toten, und natürlich sind die Angehörigen darüber nicht informiert. Daß es sich hierbei nicht um Ausrutscher handelt, beweist das sorglose „Geständnis“ des langjährigen Chefarztes der Universitätsklinik München, der im Bayerischen Fernsehen, ohne überhaupt danach gefragt zu sein, freimütig davon spricht, immer wieder Augenhornhäute von Verstorbenen entnommen zu haben, ohne die Angehörigen damit zu „belasten“. Wie dabei mit der sterblichen Hülle umgegangenen wird, mögen Aussagen von betroffenen Angehörigen belegen, die von „ausgeschlachteten Autos“ sprechen. Die von Report München aufdeckten Geschäfte mit Hypophysen eignen sich daher nur bedingt als Anklage gegen das ehemalige DDR-Regime; jedenfalls solange wir nicht auch erfahren, was es mit der (unveräußerlichen) Würde des Menschen im freien Westen auf sich hat. Gisela Wuttke

Freie Journalistin, lebt in Billerbeck