Zuckerstückchen für die Vereinten Nationen

US-Präsident Bush hatte bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung die Interessen der Wähler im eigenen Land vor Augen/ Obwohl er eine Erweiterung der UN-Friedensmissionen für notwendig hält, will er dafür kein Geld zur Verfügung stellen  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es war nicht der Visionär gekommen, sondern der Candyman. 29 Minuten lauschten am Montag die Mitglieder der UN-Vollversammlung dem Präsidenten der USA, George Bush. Doch knapp sechs Wochen vor den Präsidentschaftswahlen hatte dieser eher die Wähler im eigenen Land als die Vereinten Nationen vor Augen. Für diese sprangen am Ende nur ein paar Zuckerstücke heraus.

Im Mittelpunkt der Debatten in den nächsten Tagen wird neben dem Krieg in Ex-Jugoslawien und der Umweltpolitik die „Agenda For Peace“ stehen, in der Generalsekretär Butros Ghali die neue Rolle der UNO bei der Friedenssicherung dargelegt hat — mit weitgehenden Forderungen an die Mitgliedsstaaten.

Bushs Redemanuskript hangelte sich der „Agenda For Peace“ entlang— und ignorierte dessen entscheidende Passagen. Die Notwendigkeit, die UN-Kapazitäten zur Friedenssicherung zu vergrößern, erkannte der Präsident an. Doch sagte er den Vereinten Nationen weder mehr Geld noch Truppen zu.

Butros Ghali hingegen fordert nicht nur mehr Ressourcen für die Friedenssicherung (peace keeping). Er will den Handlunsspielraum der UNO mit Einheiten zur Friedensdurchsetzung (peace enforcement) erweitern. Gemeint sind Truppen, die zum Beispiel in Bürgerkriegsregionen einen Waffenstillstand oder Frieden (wieder) herstellen. „Peace enforcement“-Einheiten sollen von den Mitgliedsstaaten gestellt werden, auf Abruf bereitstehen, besser bewaffnet werden als „peace keeping“-Einheiten und dem Kommando des Generalsekretärs unterstehen. Darüber hinaus plädiert Butros Ghali für eine Art UN-Armee, die mit dem Votum des Sicherheitsrats eingesetzt werden soll, wenn die Völkergemeinschaft in einer Region der Welt mit einer „Bedrohung des Friedens, einem Friedensbruch oder einem Angriffsakt“ konfrontiert ist.

Bush ignorierte diesen Aspekt völlig und stellte lediglich in Aussicht, daß die USA in zukünftigen Krisensituationen verstärkt ihre Kapazitäten für Lufttransport, Daten- und Informationssammlung zur Verfügung stellen sowie Militärstützpunkte in den USA für Ausbildung und Training von „peace keeping“- Truppen öffnen wollen. Ganz uneigennützig ist dieses Angebot nicht: Auf diese Weise werden einige Militärbasen der Schließung entgehen, die ihnen aufgrund der Einsparungsprogramme des Pentagon droht.

Mehr Kompetenzen möchte Bush dem UN-Sicherheitsrat bei der Bekämpfung der Proliferation von ABC-Waffen verschaffen. Unerwähnt blieb der Export konventioneller Waffen. Dessen Einschränkung — vor allem in den Nahen Osten— hatte noch letztes Jahr bei George Bush oberste Priorität. Doch inzwischen ist der Präsident im Wahlkampf und die US-Rüstungsbetriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten: Erst vor wenigen Tagen gewährte Bush den Verkauf von Kampffliegern an Saudi-Arabien und Taiwan.

Die finanzielle Daumenschraube

Mit rhetorischen Bekenntnissen zur wachsenden Bedeutung der UNO werden die Redner auf der Vollversammlung nicht sparen. Die Frage jedoch ist: Wer wird die Kosten dieser wachsenden Bedeutung zahlen? Butros Ghali hatte die Zahlungsmoral der Mitgliedsländer bereits mehrmals scharf kritisiert. Zur Zeit steht eine Gesamtssumme von 1,75 Milliarden Dollar aus. Die USA, die 25 Prozent des UN-Haushalts bestreiten, stehen mit über 730 Millionen Dollar in der Kreide — und sind damit größter Schuldner. Der Generalsekretär hat aber auch detaillierte Forderungen aufgestellt: Unter anderem sollen säumige Mitgliedsländer in Zukunft Zinsen für ihre Schulden zahlen; für die Einsätze von Blauhelmen soll ein Fonds mit einem Grundstock von 50 Millionen Dollar angelegt werden. Dieser Vorschlag wird von den EG-Ländern unterstützt. Zudem legt der Generalsekretär den Schuldnern nahe, die Beiträge für „peace keeping“-Einsätze in Zukunft in den Verteidigungshaushalt zu integrieren.

George Bush äußerte sich zur Finanzierung kurz und kryptisch. Man müsse sich neue Wege überlegen, wie in Zukunft die finanzielle Absicherung der UNO garantiert werden könne. Washington hatte in der Vergangenheit immer wieder durch die Drohung, den Geldhahn zuzudrehen, politischen Druck auf verschiedene UNO-Organisationen und UNO-Projekte ausgeübt. Mit Butros Ghali hat man es in Washington nun mit einem Generalsekretär zu tun, der um politische Konflikte mit den Mitgliedern des Sicherheitsrats keinen Bogen mehr macht. Dies zeigte sich zuletzt Ende Juli, als Butros Ghali einen Beschluß des Sicherheitsrats kritisierte, die UNO-Truppen im ehemaligen Jugoslawien zu verstärken, während gleichzeitig dringend benötigte Truppen für Hilfseinsätze in afrikanischen Ländern nicht gewährt würden. Der Generalsekretär in einem Zeitungsinterview: „Ich muß mich vor vor niemandem fürchten. Ich will keine zweite Amtszeit.“