Devisen für Gehirnanhangdrüsen

Berlin (taz) — Der Handel mit Organen toter DDR-Bürger hat auch die kleinsten Organe in harte Devisen umgerubelt. Das berichtete am Montag abend „Report aus München“ aus Dessau in Sachsen-Anhalt. Die Räume der Pathologie des Krankenhauses Dessau gleichen einer heruntergekommenen Fleischerei. Die pathologischen Werkzeuge erinnern an Sektionsinstrumente vergangener Jahrzehnte: grobzackige Sägen zur Schädelöffnung. Hier wurden „die in Kliniken Verstorbenen nicht nur auf ihre wissenschaftliche, sondern auch kommerzielle Verwertbarkeit hin ausgeplündert“. Besonders begehrt von der Pharmaindustrie war die Hirnanhangdrüse, aus der Wachstumshormone hergestellt werden. Ohne Wissen der Angehörigen soll von jedem Leichnam in der DDR die Hypophyse entnommen worden sein. Tote galten in der DDR als Volkseigentum. „Report“ berichtet, daß der Hypophysenklau staatlich verordnet war und ebenso tabu wie die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in der Pathologie. Diese unsäglichen Zustände „wie vor einem halben Jahrhundert“ werden in dem Bericht dem Versagen der Leitung zugeschrieben. Einer der möglichen Mitwisser, Bruno Menzel, machte nach der Wende politische Karriere: vom Dessauer Klinikchef zum FDP-Bundestagsabgeordneten und gesundheitspolitischen Sprecher der FDP. Als ihn „Report“ danach befragt, will er vom Hypophysenhandel nichts gewußt haben, obwohl er 25 Jahre auf einem leitenden Stuhl gesessen hat. Die meisten Drüsen sollen aus der Berliner Charité gekommen sein und landeten in schwedischen, dänischen und Schweizer Laboren. Eine Beteiligung der Bundesrepublik wurde von „Report“ nicht hinterfragt. Das Devisen-Hypophysen-Geschäft brachte der DDR 1984 einen Spitzenverdienst von immerhin 1,5 Millionen DM ein. Bärbel Petersen

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