EG: Mehr Psychologie als Strategie

Kohl und Mitterrand wollen Europa wieder flott machen: EG der „zwei Geschwindigkeiten“ geplant  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Frankreichs Präsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl haben gestern in Paris darüber beraten, wie der europäischen Einigung zu neuem Schwung und mehr Akzeptanz bei den BürgerInnen verholfen werden könnte. Grund für den Blitzbesuch nach dem knappen Ja der Franzosen zum Maastrichter Vertrag war die Ankündigung des britischen Premiers John Major, die Ratifizierung von Maastricht in seinem Land hinauszuzögern, bis das „Problem“ des dänischen Neins gelöst ist — womit Maastricht wohl nicht, wie vorgesehen, am 1.Januar in Kraft treten kann. Kohl und Mitterrand Ziel ist es, die Briten daran zu hindern, den Einigungsprozeß zu bremsen. Ihr Projekt, das beim Londoner Gipfel vorgelegt werden dürfte, zielt offenbar in Richtung auf ein Europa der zwei Geschwindigkeiten: Frankreich, Deutschland und die drei Benelux-Staaten könnten eine Währungsunion schon früher erklären als in Maastricht vereinbart. Schließlich wird auch daran gedacht, die EG durch eine baldige Erweiterung mit reichen Beitrittskandidaten wie etwa der Schweiz, Österreich, Schweden und Finnland aufzuwerten.

Aus dem Elysée-Palast verlautete, es gebe keinen Spielraum für inhaltliche Änderungen am Maastrichter Vertrag, zumal die EG-Außenminister am Rande der UNO- Vollversammlung Neuverhandlungen erneut ausgeschlossen haben. Vielmehr ginge es in erster Linie um psychologische Maßnahmen, um die „Wogen zu glätten“, wie es laut Libération in der Umgebung des Präsidenten heißt. Die Öffentlichkeit soll den Eindruck erhalten, daß „Fran¿ois und Helmut“ aus der französischen Abstimmung „Lehren ziehen“ und insbesondere „die Forderung nach Demokratie“ ernstnehmen wollen. Offenbar soll dazu „erklärt“ werden, wie das im Vertrag verankerte Prinzip der Subsidiarität umgesetzt werden kann, das die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Mitgliedsstaaten und der EG regelt.

Spätestens beim Londoner EG- Gipfel am 16.Oktober, so die Überlegungen, sollen die Befugnisse von Kommission, Ministerrat und Europaparlament klar definiert werden, um die Ängste der Bürger zu beschwichtigen. Aus Brüssel hieß es unterdessen, die Kommission wolle ihren Aufgabenbereich genauer abgrenzen und gegebenenfalls Projekte ablehnen, die ihr vom Ministerrat angetragen werden. Damit solle vermieden werden, daß die nationalen Regierungen unpopuläre Entscheidungen an die EG-Zentrale abschieben. Kohl und Mitterrand könnten auch eine französische Idee aufgreifen, die eine Konferenz der nationalen Parlamente und des Europaparlaments vorsieht, um die nationalen VolksvertreterInnen an der demokratischen Kontrolle des EG-Handelns zu beteiligen.