Fast-Food-Kirche Scientology

■ Streitgespräch zwischen Sekten-Präsident und Scientology-Aussteiger

200 Mark kostet bei den Scientologen der erste Schritt zur Gehirnwäsche. „Wenn man jemanden zwei Stunden lang in die Augen gucken muß, verliert man die Distanz. Auf dem Weg zum 'Clear' sind täglich fünf Stunden Sauna auf dem Seelen-Reinigungsprogramm. Die Probanden werden so geschwächt, bis sie durch Halluzinationen in eine Art Ausnahmezustand geraten.“

Norbert Potthoff weiß, wovon er spricht. Fünf Jahre lang war er Manager der Scientologen. In einem öffentlichen Streitgespräch „Scientology — Himmel oder Hölle“ am Dienstag Abend im Konsul-Hackfeld Haus rechnete er vor rund 150 ZuhörerInnen mit der Sekte ab. Sein Gegenüber: Franz Riedl, Scientology- Vizepräsident in Hamburg. Die Junge Union hatte dazu eingeladen.

„Ihr wißt doch nicht, wie wir Scientologen uns den Arsch aufreißen!“ Sichtlich erregt reagierte der Scientologe auf die Vorwürfe Potthoffs und aus dem Auditorium. Die Scientologen böten praktische Lebenshilfe auf rein freiwilliger Basis.

Aber nicht ganz umsonst. Die Anfängerkurse für rund 200 Mark liegen nämlich noch in der untersten Preisklasse. Wer auf dem Weg zum 'Clear' nicht auf halber Strecke säumen mag, der darf viel tiefer in die Tasche greifen: „Bis zu 30.000 Mark und mehr“, erzählte Potthoff. „Clear ist ein vollkommen willensloser Mensch, der nur auf die Scientology-Kirche abgerichtet ist.“

Zu dem ohnehin schweren Stand des Vize-Präsidenten gesellten sich noch einige Eigentore. So versuchte der Scientologe dem Autditoruim zu verkaufen, daß Kursteilnehmer, die unzufrieden seien, innerhalb der ersten drei Monate nach Kursbeginn ihr Geld zurückbekämen. „Glatte Lüge“, hallte ihm mehrfach aus dem Publikum entgegen: Dortselbst saßen noch einige, die Erfahrungen mit der Sekte gemacht hatten.

„Wahr ist, was du selbst beobachtet hast.“ Diesen obersten Leitsatz der Scientologen predigte Riedl am Dienstag abend. Selbst beobachtet hatte er unter anderem, daß Frauen, die vergewaltigt worden sind, selbst Schuld daran seien. Gegen Drogen wären die Scientologen auch und hätten in den USA ein erfolgreiches Programm für Junkies. Norbert Potthoff dagegen verglich den Zustand eines Scientologen mit dem eines Betrunkenen, der selber noch der Meinung ist, daß er autofahren könne: „Diese Fast-Food-Religion verschiebt die Wahrnehmung der Realität.“

Ein Zuschauer wußte aus eigener Erfahrung über das totalitäre System der Sekte zu berichten: Zwei Monate vor dem Abschluß seiner Berufsausbildung standen Gesandte der Zentrale der Scientologen aus Kopenhagen bei ihm vor der Tür. Sie hätten versucht, ihn zu überreden, „alles hinzuschmeißen“ und nach Kopenhagen zu gehen, um dort „wichtigere Aufgaben“ zu übernehmen. Als er daraufhin ausstieg, wurde er noch mehrere Wochen durch Telefonterror belästigt. Seine kritische Haltung sei bereits bei

hierhin bitte den Mann

mit Schlips

Franz Riedl

dem 'Auditing' geweckt worden, berichtete er. Das ist eine Art Verhör, bei dem der Proband an eine Art Lügendetektor, das sog. E-Meter, angeschlossen wird.

Riedl bestätigte freimütig, daß Aussteiger observiert würden. „Wir gucken unserer Gegnern natürlich auf die Finger“, rechtfertigte er sich. Kritiker der Scientologen berichten sogar von einem regelrechten Geheimdienst, dem Office of Special Affairs (OSA), offiziell zuständig für Presse und Rechtsangelegenheiten.

500 AnhängerInnen sollen die Scientologen nach ihren eigenen Angaben in Bremen haben. Kritiker erwarten eine neue Offensive der Sekte auf die Bevölkerung. Anlaß ist der Umzug der Sekte in eine teure Villa am Osterdeich Anfang letzten Monats. vivA