»Einfallstor zur Arbeitsbeschaffung«

■ Experten: Verfassungsschutz-Gesetzentwurf von SPD und CDU schafft neue Tätigkeitsbereiche, statt die alten klar zu regeln

Berlin. Ein »Sonderrecht für ehemalige DDR-Bürger« macht der Vorsitzende der Berliner Strafverteidigervereinigung, Hajo Ehrig, im Entwurf des neuen Verfassungsschutzgesetzes (VschG) aus. In dem Gesetzeswerk der Großen Koalition werden neben den Verfassungsfeinden im allgemeinen die »früheren, fortwirkenden unbekannten Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungs- und Abwehrdienste der ehemaligen DDR« als neues Operationsfeld ausgemacht. Dem designierten Vorsitzenden des Brandenburger Verfassungsschutzausschusses, Rolf Wettstedt (Bündnis 90), sind solche Strukturen durchaus bekannt. Er ortet sie in Ostberliner Wohnblocks und Kleingartenanlagen, die vorrangig von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern genutzt werden, doch bezweifelt er, daß sie einen Beobachtungswert für den Verfassungsschutz haben. Es handele sich wohl eher um eine »Notgeburt« bei der Suche nach neuen Aufgabengebieten für das LfV. Ein überflüssiges und schädliches Unterfangen, findet Rechtsexperte Ehrig, denn auch Ex-Stasis sollten nur verfolgt werden, wenn sie sich als Verfassungsfeinde betätigen. Und für diesen Fall gebe es bereits Vorschriften.

Die Erforschung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter ist nicht das einzige, was Ehrig und Wettstedt am neuen Gesetz bemängeln. Beide waren gestern, zusammen mit weiteren Experten wie dem Datenschutzbeauftragten Hansjürgen Garstka, von den Bündnis 90/ Grüne, zu einer Anhörung geladen worden. Ihr Urteil über die von SPD und CDU vorgesehene Gestaltung des Verfassungsschutzes fiel vernichtend aus (siehe auch taz vom 19.9). Nicht nur die Stasi war Garstka Beleg für die Suche des Amtes nach neuen Aufgaben, ein »Einfallstor zur Arbeitsbeschaffung« sah er zudem in der geplanten Zuständigkeit des Amtes für »sonstige Überprüfungen« »für Zwecke der öffentlichen Sicherheit«. Danach könnte, so Garstkas Befürchtung, das Amt auch bei Ordensverleihungen und Waffenscheinausgaben gefragt werden, eine Kontrolle des Datenflusses sei dabei nicht gewährleistet. Statt der Aufgabenausweitung fordern alle Experten eine präzisere Einschränkung der Tätigkeit des Verfassungsschutzes, als dies bislang im Gesetzentwurf der Koalition geschehen ist. So soll es den Verfassungsfeind zukünftig nicht mehr geben, denn ein einzelner könne, so Ehrig, »niemals eine Gefahr für den Rechtsstaat sein«. Doch auch Gruppen sollen nicht per se beobachtet werden, zumindest solange sie diskutieren. Um ins Visier der Verfassungsschützer zu geraten, müsse es sich, nach Garstkas Wille, um eine »aggressive und kämpferische Bestrebung« handeln. Falco Werkentin von der Humanistischen Union bezweifelt gar generell die Effizienz geheimdienstlicher Aktivitäten. Immerhin gehe, nach seinen Recherchen, nur ein verschwindender Prozentsatz der Ermittlungen des Staatsschutzes auf Hinweise des Verfassungsschutzes zurück. All diese Bedenken werden kaum mehr Eingang in den Gesetzentwurf finden. Denn nachdem sie Monate hat ins Land gehen lassen, drängt die Regierungskoalition nun auf Eile. Noch im Oktober soll die parlamentarische Beratung abgeschlossen werden. dr