SOMNAMBOULEVARD — WET DREAMS Von Micky Remann

Bevor wir — endlich! — zum Thema „Sex im Schlaf“ kommen, möchte eine Bekannte, nennen wir sie Mechthild, träumlings etwas loswerden. Sie wundert sich, daß die meisten Menschen den Traum immer noch als etwas minder Reales betrachten. Diese stumpfen Wachzuständler, schimpft Mechthild, seien dem Wahn verfallen, daß nur die tagsüber stattfindende Welt tragfähig genug ist, um „Welt“ genannt zu werden. „Dabei steht und fällt diese Gewißheit doch mit der Uhrzeit, wie jeder täglich überprüfen kann, und selbst die hartgesottensten Materie-Freaks können diese Gewißheit, die somit gar keine ist, nur ein paar Stunden aufrechterhalten, nämlich solange sie nicht träumen. Und weil sie spüren, daß die Provokationen der Somnambulität, wenn sie sie nur in Betracht zögen, was sie aber nicht tun, schwer an ihrem Weltbild nagen könnten, schnarchen sie darüber weg und halten ihre Achtlosigkeit für die Bestätigung ihres verschrumpften Weltbildes. Dabei ist doch alles so einfach: Wer träumt, kann nur über den geträumten Realitätstunnel etwas sagen, wer wach ist, nur über den wachen. Worauf unsere Gegner gleich kontern: ,Dann halt' die Klappe, wenn du im Traum über die Natur desselben grübelst.‘ Aber wieso? Warum soll ich nur im Realitätstunnel namens ,Wachsein‘ Aussagen über mich und meine Welt machen dürfen? Das ist weder gerecht, noch macht es Sinn für die Multivitamin-Realität unseres so oder so rund um die Uhr tätigen Gehirns. Also heißt die Konsequenz: Entweder du hältst generell die Klappe, weil du über dieses dein Bewußtsein viel zu baff bist, um überhaupt etwas zu sagen, ob träumend oder wach, oder aber du nimmst dir die Freiheit, in jedem Fall die Klappe aufzumachen, wie vorläufig und zustandsspezifisch deine Realitätsrecherche auch sein mag. Ich plädiere natürlich vehement für Letzteres, denn alles andere wäre albernste Selbstverstümmelung, so als ob ein zweibeiniger Mensch behauptete, er stünde nur auf einem Bein, weil das andere geträumt und nicht so real wie das eine sei. Ha! Spätestens wenn man so einem Kandidaten droht, das ,nur‘ geträumte Bein abzuhacken, gewinnt es plötzlich doch eine ungeahnt realitätskonstituierende Bedeutung.“

Ehrlich gesagt, geht mir der somnambule Eifer meiner Bekannten, zumindest in diesem Traum, etwas zu weit. „Mechthild“, sage ich mit um Seriosität bemühter Stimme, „das sind zwar hitzige, aber ziemlich olle ontologische Kamellen, die haben wir hier doch schon mehrmals rauf- und runtergekaut.“ „Durchaus“, pflichtet sie mir bei, „aber haben wir es je in diesem Setting getan?“ Ich blicke mich um. Erst jetzt wird mir klar, daß wir uns die ganze Zeit unter Wasser befinden. Wir schweben etwa fünf Meter unter der Oberfläche durch einen lauwarmen Teich und dürfen entspannt reden, ohne atmen oder gluckern zu müssen. Aus der Ferne funkeln Unterwasser-Stroboskope und dröhnen Walgesänge. Im nächsten Somnamboulevard geht es dann — endlich! — um das Thema „Sex im Schlaf“.