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Rampensau mit Tarnkappe

„Jagd auf einen Unsichtbaren“ — John Carpenters neue Auftragsarbeit  ■ Von Karl Wegmann

Bei diesem Film durfte man getrost mit dem Schlimmsten rechnen: Ein ausgebrannter Kult-Regisseur inszenierte, ein drittklassiger Komiker ist der Titelheld, und ein Sexsymbol, das vor Jahren seinen schauspielerischen Zenit dadurch erreichte, daß es sich südlich des Bauchnabels einen gigantischen Fischschwanz montieren ließ, hatte man ohne Not als Hauptdarstellerin verpflichtet. Gewaltige 40 Millionen Dollar wurden in die Produktion gepumpt, um Harry F. Saints witzigen Bestseller „Aufzeichnungen eines Unsichtbaren“ adäquat umzusetzen. Einen dicken Brocken von dem Geld schnappte sich George Lucas' Firma Industrial Light & Magic (ILM), deren Aufgabe es war, den Unsichtbaren auf der Leinwand sichtbar zu machen.

Das Drama begann, als der Grimassenschneider Chevy Chase, der sich inzwischen auch als Produzent versucht, die Filmrechte an Saints Buch kaufte. Heute behauptet der Witzbold, der selbstverständlich die Hauptrolle für sich reservierte, John Carpenter wäre sein Wunschregisseur für „Jagd auf einen Unsichtbaren“ gewesen. Eine glatte Lüge. Zuerst wurden Richard Donner und Komödienspezialist Ivan Reitman gefragt — beide winkten ab. Carpenter übernahm dann die Auftragsarbeit.

John Carpenters kreativer Niedergang begann genau zu dem Zeitpunkt, als man ihm Geld in die Finger drückte. Als er noch mit einem für Hollywood-Verhältnisse winzigen Budget auskommen mußte, drehte er seine besten Filme: „Dark Star“, „Halloween“ und „Assault — Anschlag bei Nacht“ sind heute Klassiker. Was er dagegen anstellt, wenn er zig Millionen verbraten darf, zeigt am deutlichsten der unansehnliche Mega-Flop „Big Trouble in Little China“.

Doch Carpenter mochte die Grundidee der Unsichtbaren-Geschichte und machte sich gleich daran, das Originalskript von William Goldmann — immerhin einer der angesehensten und erfolgreichsten Hollywood-Autoren — umzuschreiben. Zwar traute er sich nicht, die pikanten Stellen der literarischen Vorlage umzusetzen (die Fellatio- Szene gleich zu Anfang des Romans wurde tragischerweise gestrichen), aber der Regisseur hatte einige interessante eigene Einfälle und wehrte sich erfolgreich gegen das Studio, das unbedingt ein Happy-End wollte. Schwieriger war es da schon, den Hauptdarsteller in den Griff zu bekommen, was ihm aber immerhin gelang.

Chevy Chase ist das, was man in Theaterkreisen eine „Rampensau“ nennt. Soll heißen, er spielt sich mit aufdringlicher Penetranz und ohne Rücksicht auf seine mitagierenden KollegInnen nach vorne. Damit fing er in der legendären Kaderschmiede der US-Lachbomben, der TV-Comedy-Show „Saturday Night Live“, an, und damit macht er weiter, bis hin zu Paul Simons Video-Clip zu „You can call me Al“. Um so erstaunlicher ist es, daß die Dritte-Wahl-Regie Carpenter ihren Boß drosseln konnte. Chase spielt den Nick Halloway mit auffälliger Zurückhaltung — daß er die meiste Zeit unsichtbar und nur als Stimme aus dem Off zu hören ist, hilft natürlich auch.

Jener Nick Halloway erleidet einen seltsamen Unfall. Zufällig ist er in einem Gebäude, in dem die bösen Militärs wieder einmal an einer Geheimwaffe basteln. Eine Tasse Kaffee auf einem Computer kippt um, und die Chaos-Theorie bekommt neue Nahrung: Teile des Hauses und der komlette Halloway werden unsichtbar. Nick muß feststellen, daß ein Leben unter der Tarnkappe nicht besonders komisch ist. Die Geheimdienste sind hinter ihm her, und seine Freundin Alice (Daryl Hannah) hat auch keine Erfahrungen in Sachen Liebe mit einem Astralleib. Dafür kommt sie aber auf die geniale Idee, das Gesicht des Unsichtbaren zu schminken; so hat sie wenigstens eine Maske, die sie knutschen kann.

Carpenter hat die Geschichte locker und flüssig erzählt, und die Spezialisten von ILM lieferten (wieder einmal) ein paar verblüffende neue Tricks. „Jagd auf einen Unsichtbaren“ ist kein herausragender Film, aber er ist gut gemachte, humorvolle Unterhaltung — trotz Chevy Chase. Ein typischer Popcornfilm.

John Carpenter: „Jagd auf einen Unsichtbaren“. Mit Chevy Chase, Daryl Hannah, Sam Neill u.a. USA 1992, 99 Minuten

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