Im Erdbebengebiet

Brillant: Woody Allens neuester Film „Husbands and Wives“  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Cole-Porter-Jazz mit gestopften Trompeten und gehauchtem Gruppengesang; die feinen, durchgebildeten Seriphenlettern mit den Namen der Produzenten Jack Rollins und Charles H. Joffe auf dunklem Grund; und schon ist man wieder mittendrin im Manhattan Woody Allens. Dieser Dschungel von Bücherwänden und warmem Licht, gestotterten Fragen, Gerüchten, Parties und Restaurants, in denen man die Stimmen der Gäste hört. Die Katastrophen, illustriert von glaubhaft echten und glaubhaft falschen Zärtlichkeiten, nehmen ihren Lauf: „Husbands and Wives“, Kinostart in den USA.

Sicher, man sieht diesen Film nicht einfach als neuen Allen, sondern untersucht ihn auf seine potentiellen Eigenschaften einer bereits eingelösten Selffulfilling prophecy, der Voraussage, die — weil ausgesprochen — eintritt: die Trennung zwischen Woody Allen und Mia Farrow. Sie vollzieht sich in diesem Film (er: Gabe, sie: Judy), und es gibt auch die ominöse 20jährige, der Allen, nach eigenem Drehbuch Schriftsteller und Professor für Creative Writing an der Columbia University, anheimfällt. Es gibt Szenen von großem Ernst zwischen Farrow und Allen, aber es gibt keinen Moment, in dem das Spiel auf der Leinwand nachläßt, unfreiwillig einbricht. Wir sehen zwei der besten Schauspieler New Yorks, die ein Paar zeigen, das am Ende ist.

Am Anfang des Films sieht es gar nicht danach aus. Ein befreundetes Paar, Jack und Sally, kommen vorbei, um Gabe und Judy zum Essen abzuholen. Bevor man aufbricht, verkünden sie in befremdend einvernehmlicher Heiterkeit, sie hätten beschlossen, sich zu trennen. Gabe und Judy sind bestürzt, aber ihre Argumente werden geübt zurückgewiesen: (Sie seien Eltern zweier Kinder), aber die sind doch schon im College; (sie seien das legendäre Paar Jack & Sally), nun, man wachse auseinander; (ob Dritte im Spiel wären), nein, man wolle es mal auf eigene Faust versuchen, „be single“. Carlo di Palmas Kamera rast durch die Wohnung wie der Stift eines nervösen Zeichners.

Dann ruht die Kamera, einfache Ausleuchtung mit Kunstlicht, und Mia Farrow ist zu sehen. Sie gibt einem Interviewer, der sie aus dem Off befragt, Auskunft über die Turbulenzen, die für sie (Judy) mit dem Jack- &-Sally-Abend begonnen hatten. Die Frage, wer in welchem Auftrag einen Dokumentarfilm über die Geschichte der beiden Ehepaare dreht, wird im Rahmen des Films nicht beantwortet, allerdings ironisiert, wenn Allen (Gabe) als letzter Zeuge in die Kamera spricht und fragt: „Ist das jetzt vorbei? Kann ich gehen?“

Es ist für Allen, als Regisseur und Komiker, immer ein Problem gewesen, Unglücksrabe der eigenen Heldensage zu sein; die Gewißheit, den Regisseur zu sehen (wie er sich selbst sieht), hat immer an der Authentizität seiner Rollen ein wenig gefressen. Mit dem unpersönlichen „Dokumentarfilmer“ im Hintergrund fällt die Doppelfunktion, wenn auch fiktiv, von Allen ab. Ansonsten ist er natürlich ganz der Leinwand-Allen: der genaue, warme Blick hinter dem dicken Brillenglas, die doofen Hüte und unmöglichen Mäntel, die beuligen Hosen: die Ikone des Intellektuellen, dessen Entwicklung gerade dort stagniert ist, wo Stil so gerade beginnt. Einer, der sich selbst auf das listigste feind ist. Ein brillanter Rhetoriker, mit einem schwachen Draht zur Wahrheit. So ist es Judy, die es schließlich ausspricht: „Es ist vorbei, und wir wissen es beide.“ „Husbands and Wives“ zeigt die langjährige Ehe als unbewegliches Gefüge, als Tanker, der bei einem Wendemanöver Risse bekommt. Während in rührenden, grotesken und gewaltsamen Szenen deutlich wird, daß Sally und Jack ihre Freunde — und ihre vorübergehenden Liebhaber — benutzen, um das Ende ihrer Ehe wie ein Spektakel abzufeiern, tappen Judy und Gabe in das Loch, das sich zwischen der verbürgten gemeinsamen Vergangenheit und den fremdgehenden Tagträumen auftut. Während für Judy und Gabe die Stunde der Wahrheit näherrückt, müssen sie dem wiedervereinigten Paar Sally und Jack zuprosten, eine Szene von Rohmerscher Peinlichkeit. Dem „Dokumentarfilmer“ gibt das verschämt grinsende Paar die Einsicht zu Protokoll, daß Liebe mit Romantik nichts zu tun habe. Die Gewinner als Verlierer preisen die Vorzüge des Status quo.

Der Film ist rasant erzählt wie „Verbechen und andere Kleinigkeiten“, aber er entledigt sich der Zwänge der „Spannung“. Der Film beschleunigt nur gering, aber verdichtet sich kontinuierlich. Wer sich von „Alice“ hat langweilen lassen, wird hier entschädigt: Die Montage der Perspektiven, der Ausbau der Figuren auf sechs, sieben tragende Rollen, die Schichtung und Verzahnung ist Allens Feld der Meisterschaft. Jede erzählte Anekdote wird in der Rückblende illustriert, Figuren werden zu Erzählern im Off, die Kamerafahrten enden in Nischen und auf Fußböden. Fast jede Einstellung ist zusammengeschnitten wie die Nachrichten, zwischen zwei Sätzen machen die Köpfe kleine Sprünge, als hätten die Dreharbeiten in einem Erdbebengebiet stattgefunden. Kamera und Schnitt (Susan E. Morse) vermitteln, daß der Blick auf die Figuren kein psychologischer, sondern ein gesellschaftlicher ist. Wo die Erkenntnis nicht hinreicht, bleibt das Objektiv unscharf.

Im Gegensatz zu Godard, bei dem Allen gewiß einiges gelernt hat, spielen die Mittel bei Allen nicht episches Theater mit dem Zuschauer, die eitle Seite der Selbstreferenz interessiert ihn überhaupt nicht. Im Gegensatz zu den Männern, deren Wünsche durchschaubar bleiben, sind die Frauen komplexer dargestellt, fast hermetisch. Schrill, einprägsam ist die Sally (Judy Davis), eine Frau, die sich entschieden hat, entschieden zu sein und in den Furchen, die ihre bisweilen hysterisch vorgebrachten Forderungen hinterlassen, nicht leben kann. Sie hat in Drachenblut gebadet. Mia Farrow ist natürlich, wie immer, in dieser eigentümlich von innen leuchtenden Art zurückgenommen, aber Judys Altruismus wird als „passiv aggressive“ Haltung in Frage gestellt. Das allerdings dürfte eine Rollenidee sein, die Woody Allen ohne bessere Kenntnis Mia Farrows nicht zugefallen wäre. Wie auch immer, der Film überläßt der Schauspielerin die rührendsten Szenen — und den rührendsten Liebhaber, einen charmant tolpatschigen Briten, der Judys neuer Ehemann wird, bevor die Geschichte, die einen Zeitraum von anderthalb Jahren beschreibt, zu Ende geht.

Die dritte große Frauenrolle des Films spielt Juliette Lewis, die in Scorseses „Cape Fear“ als verführbare Teenagerin mit sichtbaren Skrupeln einen großen Auftritt gehabt hatte. In „Husbands and Wives“ ist sie College-Studentin Rain, die mit einer Erzählung, betitelt „Oraler Sex im Zeitalter der Dekonstruktion“, die Aufmerksamkeit des Professors Gabe Roth gewinnt. Ihr Auftritt ist so konstruiert, daß Gabe ihr erst dann verfällt, als er von Judy schon getrennt lebt. Mit Bravour entfaltet Lewis den Charakter einer jungen Frau, die deshalb für den bewunderten älteren Mann so begehrenswert ist, weil sie jedem Schritt, in dem sich die Verehrung des Professors auf sie zurückwendet, standhält. Eine lange Einstellung zeigt sie auf dem Rücksitz eines Taxis, dunkel schimmernd gegen den überbelichteten Hintergrund, wie sie mit Gabe den ersten Streit wagt, das erotische Initial unter Intellektuellen. Er würde niemals durch die Hölle gehen wollen, die es bedeuten würde, ihr Freund zu sein, sagt Gabe, und sie: „I'm worth it.“ (Schnitt).

Der Professor, nach einem Kuß bei Kerzenlicht vor Gewitterkulisse, nimmt dann doch Abstand von einer Liebe, die alle Zeichen Freudscher Übertragung mit sich führt. Daß die Einsicht im wirklichen Leben Allens soweit nicht gereicht hat, haben ihm die New Yorker sehr übel genommen: der Filmkritiker des Time-Magazins glaubte, daß „Husbands and Wives“ der Film ist, den Allen sehen müßte, um zu begreifen, was ihm widerfahren ist. Aber auch das hat Woody Allen schon beantwortet, wenn er der jungen Studentin Rain den Satz zuschreibt: „Das Leben macht nicht die Kunst nach, sondern das schlechte Fernsehen.“