Kribbeln im Kammerspiel

■ Das Ensemble Modern spielte Zappa ohne Frank in der Philharmonie

Nur selten ist das Fan-Raten so spannend gewesen wie im Foyer der Philharmonie. Statt Schönberg stand Zappa auf dem Programm des Ensemble Modern, daß nach dem mißglückten Joint- venture von Rainald Goetz (Text) und Heiner Goebbels (Musik) nun die Fortsetzung mit verquerem Rock erprobte.

Zum kammermusikalischen Freak Out haben sich lässige, akkurat herausgeputzte Jungbürgerinnen eingefunden. Lediglich einige übriggebliebene Jeanstypen und Filzbärte kommen nicht mit der Rangordnung klar. Fragen wie: »Was soll ich im rechten Block?« oder: »Wo kann man hier pissen?« werden ihnen vom Personal freundlich beantwortet. Zum Glück ist der Weg zu den Getränken ausgeschildert.

Sie müssen an diesem Abend einiges ertragen. Rauchverbot, feste Bestuhlung und sanfte Halogenlampen statt einer Hochleistungsbeleuchtungsshow... kein Bootlegger in Sicht, der ihnen eine Kopie des Konzertes ziehen könnte. Die letzte Lust auf Zappa erlischt mit einer zu Beginn verlesenen Erklärung: Frank müsse an diesem Abend wegen seiner schweren Krankheit fernbleiben. Man möge doch Verständnis für sein Fehlen aufbringen, schließlich ginge es in erster Linie um seine Gesundheit und in zweiter Linie werde das Ensemble natürlich so exakt spielen, als wäre Zappa dabei. Tochter Moon verliest wunderbar gleichmütig-bestürzt ein Grußwort des bettlägerigen Vaters. Der Fanblock murrt kurz, der Rest klatscht höflich und gerührt zurück. The Yellow Shark nimmt seinen Lauf, und zwar the american way. Musikalisch führen die für Streicher, Bläser und Schlagwerk adaptierten Attitüden des einstigen Bürgerschrecks ziemlich weit zurück in die Neue Welt. Dvorak wird zärtlich umspielt, Gershwins Tingeltangel sehr offenkundig abgekupfert und serielle 50er-Avantgarde vorsichtig angekratzt.

Zappa hat zu lange am Computer gesessen. Die Oboen- und Klarinettenklänge kennt er scheinbar nur noch von Diskette, auf die oberen oder unteren Bereiche begrenzt, mal schrill mal schummrig, nur selten vom individuellen Tonfall geprägt. Besonders in den minimalen Passagen von Times Beach II & III wird der Gegensatz von Klang und Melodie in billige Effekte überführt. So stellt sich der kleine Max die moderne Klassik vor, aber auch das Gros des Publikums, das ständig applaudiert.

Lange halten die eingefleischten Altfreaks die Ruhe der allerfeinst zerfaserten Wiederholungen nicht aus. Die jahrelang selbst gedrehten Zigaretten verlangen ihren Tribut, bald röhrt der Saal aus allen Ecken. Wäre Kettenraucher Zappa mit von der Partie gewesen, hätte man um die Wette husten können. So wird der Raucherchor vom Knistern der Programmhefte eilig übertönt. Aus ihnen kann man erfahren, daß Frank Zappa seit dem 14. Lebensjahr alles nach Noten komponiert: »Man muß nicht alles aufschreiben, aber das, was zum Vorsummen zu kompliziert, und das, was zu komplex ist, um erinnert zu werden, bedarf der Schriftform.« Die frühen Mothers brauchten keine Notenblätter, und Zappa-Jünger können noch heute jedes Hecheln, Glucksen oder Stöhnen aus dem Effeff imitieren. Das Ensemble Modern braucht die Gedächtnisstütze wahrscheinlich auch nicht, es spielt selbst die schwierigsten Schichtungen traumhaft sicher. Als nach der Pause eine Violinistin ihre Noten vergessen hat, wirkt der Witz entsprechend schal. Auch die Anspielungen auf den faschistischen Alltag in Amerika sind müde-bemüht.

Was bleibt, sind einige Phrasen alter Zappa-Ekstasen, die auch in der Sachlichkeit des Kammerspiels ein Kribbeln verursachen. Der Be Bop Tango, 1974 eine 15minütige Ausziehorgie, bleibt heute fein und klein. Doch das Finale bringt den Pop auf den Punkt: G-Spot Tornado zieht hochenergisch seine Schleifen, als hätte Chick Corea Tubular Bells für die Disco umgeschrieben. Dazu kann das Ballett der LaLaLa Human Steps hemmungslos flickflacken und fallrollen wie im Selbstverteidigungskurs. Den BürgerInnen zumindest gefällt's. Es ist ziemlich befreit. Harald Fricke