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»Danach malen die Kinder andere Bilder«

■ Berliner Bildungskongreß »Leben und Lernen in der Einen Welt«/ Wie gelingt der Blick über den deutschen Tellerrand in der Schule?/ »Projekttage« und »Rohstoffkoffer«/ Senatsverwaltung betreibt Sprachbereinigung: »Rassismus« unerwünscht

»Bis zur vierten Klasse siegt noch die kindliche Neugier«, erzählt Ruth Dommer-Sessay, die für die Ausländerbeauftragte von Berlin-Mitte den Besuch von ReferentInnen aus der Dritten Welt in den Grundschulen des Bezirks organisiert. »Aber ab der 5. und 6. Klasse merkt man dann zum Teil schon in der Wortwahl, wie die Schüler Meinungen über ‘Asylanten und so‚ übernehmen.« Ruth Dommer-Sessay und andere in der Nord- Süd-Arbeit Engagierte, vor allem aber rund 120 Lehrer und Lehrerinnen aus Berliner Schulen aller Altersstufen sind seit Mittwoch für den dreitägigen Bildungskongreß »Leben und Lernen in der Einen Welt« zusammengekommen, der heute abend zu Ende geht.

Neben eher universitären Diskussionen mit ExpertInnen über Sinn und Zweck von Entwicklungshilfe oder die Mechanismen der Weltwirtschaft stehen vor allem zahlreiche Arbeitsgruppen im Zentrum des Kongresses, in denen praktische Erfahrungen mit neuen Ansätzen und pädagogischen Modellen ausgetauscht und zur Diskussion gestellt werden. Erfahrungen wie zum Beispiel die »Projekttage«, die die Mitarbeiterin der Ausländerbeauftragten an den Grundschulen in Mitte organisiert. »Die Ergebnisse sind schon interessant: Wenn wir vor so einem Projekttag die Kinder malen lassen, was ihnen zu Afrika einfällt, dann zeichnen sie schöne Dschungel mit Löwen und Palmen, oder auch eine Wüste mit Kamelen — aber fast immer fehlen die Menschen!«, berichtet Ruth Dommer-Sessey. »Danach malen sie andere Bilder: da gibt es dann Frauen, die Körbe auf dem Kopf tragen — das beeindruckt immer sehr! — oder spielende Kinder.«

Um »Lernen durch Anfassen« — durch handfeste Erfahrung — geht es auch bei einem weniger aufwendigen Lernmodell wie dem »Rohstoffkoffer«, den Waltraut Seidler von der Schöneberger Rheingau-Oberschule in einer Arbeitsgruppe vorstellt. Jeder Schüler kann sich eines der ganz alltäglichen Produkte aus dem mitgebrachten Koffer herausgreifen — und Stück für Stück entdeckt man dann gemeinsam hinter der Cola- Büchse die Aluminiumverhüttung in Brasilien, für die der Regenwald verheizt wird, die Rohstoffströme in der Tafel Schokolade oder in unseren billigen Bananen die niedrigen Löhne der Plantagenarbeiter.

Daß Dritte-Welt-bezogene Bildungsarbeit jedoch nicht nur bei den SchülerInnen, sondern auch bei LehrerInnen und Eltern Barrieren überwinden muß, schildert Uta Kruse von der Gesellschaft für solidarische Entwicklungszusammenarbeit aus der Ostberliner Georgenkirchstraße. »Wenn wir an den Schulen pädagogische Planspiele zu Nord-Süd-Problemen anbieten, dann geht es auch darum, den Lehrern ihr Selbstbewußtsein zurückzugeben. Oft zucken sie erst einmal zurück: Planspiele, schon wieder was Neues!« Dennoch, die Erfahrungen sind ermutigend, die längerfristige Finanzierung des Projekts Schulische Zusammenarbeit allerdings ungeklärt.

Der Kongreß, der unter Federführung des Entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationszentrums (EPIZ) in Zusammenarbeit mit der Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit organisiert worden war, kam immer wieder auch von den Problemen in der fernen Dritten Welt zurück auf den Rassismus in Deutschland. Daran änderte auch nichts, daß im Vorfeld der Begriff »Rassismus« auf Drängen der zuständigen Senatsschulverwaltung sorgfältig aus dem Programm eliminiert worden war. So wie man das offenbar als »rot-grün belastet« geltende Wort »multikulturell« durch ein vages »kulturübergreifend« ersetzt wissen wollte, mußte »Rassismus« konsequent gestrichen und in das harmloser klingende »Fremdenfeindlichkeit« umgewandelt werden. Genutzt hat die sprachliche Bereinigung übrigens nichts: Vom Schulsenat wurde die Veranstaltung nicht in jenem Teil des Fortbildungsverzeichnisses einbezogen, der den LehrerInnen von vornherein Unterrichtsbefreiung für die Teilnahme zugesteht. Notwendig war vielmehr eine gesonderte Beantragung und Bewilligung durch die Schulleitungen — was wohl etliche LehrerInnen von einer Teilnahme abhielt. Bert Hoffmann

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