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: Karlsruher Durchmarsch

■ Die Bundesanwälte wollen das Verfassungsgerichtsurteil zur Spionage präjudizieren

Die Bundesanwaltschaft kann es nicht abwarten, den einstigen Chef der Auslandsspione der DDR vor Gericht zu sehen. Obwohl ernsthafte Zweifel daran bestehen, daß die strafrechtliche Verfolgung der Mitarbeiter des untergegangenen Spionageapparates „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA) überhaupt verfassungsmäßig ist, wird Markus Wolf nun mit der juristischen Hilfskonstruktion angeklagt, er habe selbst so hochrangige Agenten wie den Kanzleramtsspion Guillaume geführt. Umstritten ist nicht nur, ob die Offiziere der HVA als Vertreter eines von Bonn de facto anerkannten anderen Staates verfolgt werden können — strittig ist auch, ob die Agentenführer, die sich westdeutscher Bundesbürger als Spione bedienten, sich auch nach westdeutschem Gesetz schuldig gemacht haben. Das Berliner Kammergericht hat deswegen den Prozeß gegen Wolfs Nachfolger Großmann ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht angerufen. Die Berliner vertreten die Auffassung, daß die Spionagetätigkeit des Ostens nicht einseitig verfolgt werden dürfe, weil die Spionagetätigkeit des Westens sich prinzipiell von der der Wolf-Abteilung nicht unterschieden habe. Ergo: die bloße Verfolgung der ostdeutschen Spionage verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung.

Daß die Bundesanwaltschaft dem Einwand der Berliner Richter nicht folgen mag, wird offiziell damit begründet, daß man nicht die Kleinen (das heißt die westdeutschen Helfer des Geheimdienstes) abstrafen und die Großen (wie Wolf) laufenlassen kann. Tatsächlich will die Bundesanwaltschaft aber mit ihrem Vorgehen auch das Urteil der Verfassungsrichter präjudizieren. So erhält die Erwartung einer Verurteilung Wolfs erheblichen Auftrieb. Ungeachtet der Frage, wie das Verfassungsgericht eine mögliche Verfassungswidrigkeit solcher Prozesse begründen könnte, es würde eine solche Entscheidung kaum vermitteln können.

Aber auch das Bild von den Großen und den Kleinen stimmt nicht. Sämtliche HVA-Offiziere, die bislang verurteilt wurden, konnten — weil frühere Bürger der DDR — den Gerichtssaal mit Bewährungsstrafen verlassen. Die von ihnen geführten westdeutschen Spione sind dagegen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Die Sicherheitsbehörden hatten unter anderem deswegen vor zwei Jahren dafür plädiert, mittels einer begrenzten Amnestie einen sauberen Schlußstrich unter die deutsch-deutsche Spionage zu ziehen. Das scheiterte jedoch an taktischen Überlegungen insbesondere in der CSU im Vorfeld der letzten Bundestagswahlen. Wolfgang Gast