„Wir Mütter müssen auf alles vorbereitet sein“

Angehörige verschwundener Contras finden Spuren in Costa Rica/ Als illegale Wanderarbeiter haben sich dort Tausende Ex-Contras verdingt/ Viele wollen nicht nach Nicaragua zurück/ Zu ihren Familien haben sie jeden Kontakt abgebrochen  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Als Mercedes Vasquez vor wenigen Tagen die Nachricht bekam, zitterten ihr die Knie, und ihr Herz begann wild zu klopfen. „Komm noch vor Ende des Monats, es gibt Neuigkeiten“, hieß es in dem Schreiben aus dem Nachbarland Costa Rica. Absenderin war die Köchin einer Bananenplantage, wo ehemalige Contras Arbeit gefunden haben. Für Mercedes Vasquez, Nicaraguanerin und Mutter von acht Söhnen und zwei Töchtern, bedeutet die verschlüsselte Nachricht die Aussicht auf ein Wiedersehen mit ihrem seit fünf Jahren vermißten Sohn.

Mercedes Vasquez gehört der „Vereinigung der Mütter und Angehörigen von Verschleppten und Verschwundenen“ (AMFASEDEN) an, die sich seit Jahren um die Rückkehr ihrer im Krieg verschollenen Familienmitglieder bemüht. Tausende Bauern, Soldaten, aber auch Lehrer und Studenten wurden im vergangenen Jahrzehnt von Konterrevolutionären verschleppt. Viele wurden umgebracht, von anderen fehlt noch immer jede Spur. Der damals zwanzigjährige Buchhalter Salvador Antonio Lopez Vasquez, der 1987 zum Militärdienst eingezogen wurde, kam eines Tages von einem Gefecht nicht zurück. Salvador sei verschleppt worden, erzählten seine Kameraden.

Überlebende berichteten, daß Contras ihre Gefangenen in Honduras mit Hunger und Folter quälten und einer Gehirnwäsche unterzogen. Auch überzeugte Sandinisten konnten dem Druck nicht standhalten und schlossen sich den rechten Rebellen an. Deswegen hofften die Mütter, bei der Demobilisierung der Contras nach Kriegsende ihre Lieben in die Arme schließen zu können. Doch nur 26 Verschwundene gaben als Contras ihre Waffen ab. Weitere 110, mehrheitlich Landarbeiter aus dem Kriegsgebiet, wurden später auf den Listen der „Verifizierungskommission der Organisation Amerikanischer Staaten“ (CIAV-OAS) gefunden.

Der zur Rede gestellte — inzwischen tödlich verunglückte — Contra-Chef Franklin reagierte verärgert und behauptete, es gebe gar keine Verschleppten beim „Widerstand“, nur Freiwillige. Die Frauen sollten sich an Marta Patricio Baltodano wenden, die Vorsitzende der „Nicaraguanischen Menschenrechtsvereinigung“ (ANPDH), „dafür wird sie schließlich von der Regierung bezahlt“. Die ANPDH wurde 1985 von den USA gegründet und erhielt drei Millionen Dollar Unterstützung, um das Image der Contras aufzupolieren.

Die ANPDH konsultierte ihre Quellen und gab Mercedes Vasquez vor einem halben Jahr den Bescheid, ihr Sohn hätte sich „freiwillig dem nicaraguanischen Widerstand angeschlossen“ und sei am Rio Yamalon gefallen. Doch gleichzeitig erhielt die Müttervereinigung von anderer Seite den Hinweis, viele Nicaraguaner säßen noch in den Gefängnissen von Honduras fest. Die Nachforschungen in den Haftanstalten führten auf eine neue Fährte. Viele hängengebliebene Contras, so wußten die Grenzbeamten in Honduras, hätten sich nach Costa Rica abgesetzt, wo Tausende illegale Wanderarbeiter auf den Bananenplantagen problemlos Beschäftigung fänden.

Also reisten die Mütter in Nicaraguas südliches Nachbarland. Ausgerüstet mit einer Namensliste und Fotos der Verschwundenen, alten Kleidungsstücken und den Geburtsurkunden ihrer Kinder machte sich die Delegation auf den beschwerlichen Weg in die riesigen Bananenplantagen, die sich entlang der Grenze und an der schwer zugänglichen Atlantikküste hinziehen. Dort legten sie den Verwaltern und den Köchinnen, die täglich die Arbeiter im Speisesaal zu Gesicht bekommen, ihre Listen vor. Auch wenn die meisten schon mehr als fünf Jahre alt und unscharf waren, erwiesen sich die Fotos als wichtiger als die Namenslisten. Denn Wanderarbeiter ohne gültige Papiere reisen oft unter falschem Namen. Immerhin fünf Angehörige wurden eindeutig identifiziert. Allerdings waren alle nach der Ernte wieder weggegangen.

Eine Köchin betrachtete lange das Foto von Salvador Vasquez: „Der ist hiergewesen und mit meiner Tochter weitergezogen.“ Für weitere Nachforschungen hatten die Mütter kein Geld mehr. Unverrichteter Dinge, aber mit neuer Hoffnung kehrten sie nach Nicaragua zurück. Knapp vor dem Ziel einer jahrelangen verzweifelten Suche begann jetzt ein neues Martyrium: Wenn ihre Kinder noch am Leben waren, warum waren sie nicht heimgekehrt oder hatten zumindest einen Brief als Lebenszeichen geschickt?

Eine Erklärung fanden die Mütter im Gespräch mit anderen Nicaraguanern. Vor allem ehemalige Contras befürchten, daß sie zu Hause mit sozialen Sanktionen zu rechnen haben oder gar einem Racheakt zum Opfer fallen könnten. Außerdem herrsche in Nicaragua Arbeitslosigkeit von mehr als 50 Prozent, wie die Presse berichte. „Was soll ich dort?“ fragte sich einer, „in Costa Rica bekomme ich zumindest dreimal täglich zu essen“. „Meine Mutter glaubt wahrscheinlich, ich bin längst tot“, wischte ein anderer die Einwände der Frauen beiseite, „soll sie doch bei ihrem Glauben bleiben.“ Die meisten Ex-Contras haben inzwischen eine Familie gegründet und jede Beziehung zu ihrem Land verloren.

„Ich zittere am ganzen Körper, wenn ich nur daran denke, daß mein Sohn mir auch sagen wird, daß er von seinen Eltern und seinem Heimatland nichts wissen will“, schluchzte Mercedes Vasquez kurz vor ihrer neuerlichen Abreise nach Costa Rica, „aber wir Mütter müssen auf alles vorbereitet sein.“