„Die sieben waren immer da“

Arbeitskreise und Kirchen setzen in Augsburg auf langfristige Aufklärung und Asyl zum Anfassen/ Durch die Aufnahme von Flüchtlingen werden auch Kirchengemeinden wieder lebendig  ■ Aus Augsburg Heide Platen

Die Stimme der Frau Fuchs von der katholischen Pfarrei Don Bosco klingt abwehrend: „Wir wünschen nicht, daß etwas über unsere Asylanten in Ihrer Zeitung erscheint!“ Es geht dann doch, aber die Menschen, die in zwölf Augsburger Kirchengemeinden Zuflucht gefunden haben, müssen geschützt werden. Rund 5.000 Asylsuchende und AussiedlerInnen haben in der wohlhabenden schwäbischen Handelsstadt mit 270.000 EinwohnerInnen Zuflucht gefunden. Das schafft Probleme, aber auch Aggressionen. Einige AugsburgerInnen hatten das schon vor sieben Jahren begriffen, als sie sich zum Arbeitskreis Asyl zusammenfanden. Kirchen kamen dazu. Die katholische Gemeinde St.Johannes Baptist im Neubauviertel Göggingen gewährte 1989 sieben jungen Männern aus Bangladesch Kirchenasyl.

Die Bengalen standen im November vor der Tür. Die Gemeinde betete, diskutierte gründlich und gewährte ihnen Einlaß. Die AugsburgerInnen sammelten 13.000 Unterschriften für sie. Als das Land Bayern und die Ausländerbehörde alle Hilferufe und Petitionen verworfen hatte, verschwanden die Bengalen — kurz vor der drohenden Räumung — im August 1990 über Nacht, umsichtig weitergeleitet an eine protestantische Gemeinde in Niedersachsen. Die HelferInnen zogen in einer Broschüre ihre eigene Bilanz: „Menschen aus unserer Kirchengemeinde, die sich vorher nicht einmal beim Namen kannten, sind zu einer echten Gemeinschaft zusammengewachsen.“

Dies könne dazu beigetragen haben, sinniert Gemeindepfarrer Stefan Hoiß, daß es in Augsburg bisher keine rassistischen Ausschreitungen gegen die Lager gegeben hat. Genau weiß er das natürlich auch nicht und muß lange nachdenken, ehe er dann doch sagt: „Es kann sein, daß sich hier die Ängste und Aggressionen durch das Kirchenasyl schon zeitversetzt und in kleinen Erruptionen entladen haben.“ Gemeinschaftliches Kochen und Essen, Gespräche, Besichtigungen, Feste und Spiele gaben dem Gemeindealltag, am Schluß auch in Gegnerschaft zum Bischof, einen neuen Sinn. Eine 16jährige Schülerin: „Man hatte immer einen Grund hinzugehen. Die sieben waren immer da.“ Pfarrer Hoiß: „Jetzt haben wir hier wieder vier Menschen untergebracht.“

Auch Flüchtlingsberater Matthias Schopf-Emrich glaubt an das „dezentrale Konzept“ des Asyls zum Anfassen. Jede der zwölf Kirchengemeinden habe inzwischen einen eigenen Unterstützerkreis: „Diese Sympathiewerbung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ Es sei wichtig, daß sich immer mehr Menschen über die Verhältnisse in den Herkunftsländern sachkundig machten. Und daß sie sähen, daß die Flüchtlinge nicht in Saus und Braus auf Kosten der Deutschen lebten und, wenn sie Arbeit hätten, für ihren Aufenthalt teuer zahlten. 270 Mark kostet das Bett im Sammellager. Schop-Emrich: „Nie vorher ist uns ein so großes Bündnis gelungen. Ich weiß nicht, wie das sonst heute hier aussehen würde.“ Auch die Lokalzeitung hätte „mitgezogen“. Ein Informationsblatt erreichte jeden Ausgburger Haushalt. „Isolierte Massenunterkünfte“, ist seine Erfahrung, stünden friedlichem Miteinander, dem Abbau von Ängsten und Einbindung der Bevölkerung „nun einmal entgegen“. Sein Kollege, Peter Luibl, nennt solche Lager „hausgemachte Probleme“.

Im Marthahaus in der Innenstadt leben deshalb zur Zeit nur 190 Menschen unter der Obhut des Diakonischen Werkes. Sie sind vorbildlich untergebracht, im Garten spielen die Kinder. Aus Angst vor Brandsätzen weigerten sich aber auch hier einige Familien, die Zimmer im Erdgeschoß zu beziehen. Das Diakonische Werk achtete streng darauf, „Mindeststandards zu halten“ und damit Konflikte vorauszusehen und zu vermeiden.

Brennpunkt kommunaler Auseinandersetzung war dagegen bis zu diesem Sommer das Augsburger Fabrikschloß. In der leerstehenden Spinnerei und Weberei, Baujahr 1898, kann von den diakonischen Mindeststandards nicht die Rede sein. Daß sich einiges gebessert hat, ist der Intervention des Arbeitskreises und der Kirchen zu verdanken, die die Öffentlichkeit alarmierten. Das große Gebäude aus gelbem und rotem Backstein mit den wuchtigen Ecktürmen gehört dem Immobilienmakler Anton Lotter und war ursprünglich als Provisorium gedacht. Lotter pferchte die oberste der drei Fabriketagen mit AsylbewerberInnen voll. Sie waren in der Halle in abgeteilte, offene Verschläge einquartiert. Die Besichtigung geriet zu Skandal und Politikum. Schopf-Emrich: „Das war ein Schock. Das war wie ein städtischer Slum.“ Lotter einigte sich mit der Stadt darauf, zwei Etagen etwas menschenwürdiger herzurichten. Während des Umbaus entstand ein Containerlager im Hof. Das Provisorium gedieh zum Dauerzustand. Auch jetzt sind die Treppenhäuser und Gänge noch muffig und feucht. Die Verschläge für die Menschen hinter den hohen, hellgrünen Metalltüren sind inzwischen mit grauen Fertigplatten erneuert, haben eine Decke bekommen und wirken wie düstere, längliche Schachteln. Aber immerhin sind sie schallisolierter als die vorherigen Boxen, jede mit einem Stückchen Anteil an einem der Fabrikfenster.

Das Containerlager hinter der Fabrik, auf Schotter zwischen Unkraut und Mauern aufgereiht, verströmt die übliche Tristesse. Ein Iraner freut sich trotzdem, schüttelt Hände, läßt sich gratulieren. Er ist als politisch Verfolgter anerkannt, hat eine Arbeit gefunden und will demnächst zu seinem Bruder nach Köln übersiedeln. Schopf-Emrich weiß, daß ein bißchen Freude auch zur Menschenwürde gehört und lädt zum gemeinsamen Fest im Oktober ein.

Verhalten lobt der Arbeitskreis die verbesserte Zusammenarbeit mit der Stadt und der Landesregierung. Immerhin lasse sich die Politik nicht mehr von den Lobbies „der Reichen“ und der Wohnungsbaugesellschaften beeinflussen. Frühere Rücksichten auf diese Klientel hatte viel zu Spannungen beigetragen. Die Asylpolitik indes wird auch im Arbeitskreis Asyl theoretisch und kontrovers diskutiert. Die Positionen reichen von einer Anerkennung der in Zirndorf aufgelaufenen „Altfälle“ bis zur „unvermeidlichen Änderung“ des Grundgesetzes. Inzwischen ist das Projekt „Verein Tür an Tür“ entstanden. Auf der Wiese direkt neben dem Holzkreuz der modernen Kirche von St.Johannes Baptist will der Arbeitskreis in Absprache mit der Gemeinde für 5 Jahre einfache Fertighäuser für 120 Menschen errichten: Flüchtlinge, Studenten, Singles und Familien sollen dort zusammen leben.