Weitergucken gildet nicht

■ Wohnen in Bremen: Häusliche Intimsphären hinter vorhanglosen Fenstern

Leben hinter FensternFoto: Tristan Vankann

Gardinengeschäfte dürften es nicht leicht haben in Bremen. Ob Klein- oder GroßbürgerInnen, ob Studentenvolk oder KünstlerInnen, ob Familie oder Wohngemeinschaft oder sogenannte Singles — niemand scheint das Bedürfnis zu haben, seine häusliche Intimspäre diskret hinter zugezogenen Vorhängen zu leben. Bremen ist die Stadt der gardinenlosen Fenster.

Ein nächtlicher Spaziergang durch das Viertel zum Beispiel ersetzt den Kinobesuch. In einem Souterain kocht ein zärtliches Pärchen in modisch schwarz-weißer Küche. Er schnipselt das Gemüse, sie beugt sich rezeptlesend über seine Schulter. Er lehnt sich zurück und... nichts und. Stehenbleiben und weitergucken gildet nicht.

hier bitte die

Frau im Fenster

Ein Haus weitersitzt einer am PC, in einem kahlen Schrankwandzimmer. Auf einem Schrank stapeln sich Koffer und ein Regenschirm. Nebenan schimpft ein Vater mit dem Kind. Er hebt den Arm, er zieht das Kind zu sich — nicht stehenbleiben, das macht man nicht.

Es gibt Straßen, da haben alle Leute so viele Bücher. Zimmerpflanzen sind sehr beliebt. Immer wieder sehen Menschen in lichtlosen Räumen Fernsehen und es blinkt blau-weiß. Eine Katze liegt auf einer Fensterbank. Flugblätter liegen auf einer anderen. Sogar Gartenzwerge hocken da. Drei Kinder sitzen auf einem Sofa und eine Frau liest ihnen vor. Ach, klopfen und eintreten.

Und die eigenen vier Wände? Der Blick aus dem vorhanglosen Fenster in andere vorhanglose Fenster? Die Klavierlehrerin von gegenüber hat einen neuen Freund, diesmal dunkelhaarig. Im großen Zimmer küssen sie sich. Im kleinen zieht sie später doch das Rollo runter.

Die Frau des Nachbarn kommt im Bademantel. Er sitzt am Schreibtisch und schaut widerwillig auf. Sie schüttelt den Kopf und schaltet den Fernseher ein. Er erhebt sich und wechselt das Zimmer.

In der Wohnung drunter steht einer aus der Männer-WG am Fenster. Er schaut herüber. Er tritt einen Schritt zurück. Er macht das Licht aus. Leuchtet da eine glühende Zigarette auf? Schaut er herüber? Vielleicht in die Zimmer über den meinigen, wo sich, wie zu hören ist, die A.s wieder gräßlich streiten. Oder in die Wohnung drunter, in die Abendbrotküche von Familie S. mit ihren fünf Kindern. Oder wohin sonst?

Cornelia Kurth