Amüsement im Einheitsstakt

■ Das Rezept funtioniert immer noch: Sammy Tavalis und seine Mitternachtsshow im BKA

Auszusehen wie Marilyn Monroe, Liza Minelli oder Nana Mouskuori — das wünscht sich so mancher Mann. Und auf der Bühne könnte er sich gelegentlich austoben, sich in geblümte Fetzen schmeißen, auf bleistiftzarten Stöckeln wackeln, viele bunte Farben im Gesicht verteilen. Wenn er sich denn traute. Sammy Tavalis traut sich. Kassette rein, Mund auf und zu — so funktioniert das Rezept für Travestieshows seit Jahrzehnten.

Eine feste Größe im subkulturellen Amüsierbetrieb ist das inzwischen geworden, wenn auch noch keine wirklich konstante: Denn das Publikum hat sich verändert, einstige Tabus können heute kein müdes Augenblinzeln mehr hervorrufen. Die Travestie ist touristenfein geworden, busseweise wird das Landvolk zu den gängigen Orten gekarrt, und neugierig gaffend amüsiert man sich dort wie sonst Omi beim »Musikantenstadl«.

Dabei heiße Travestie doch nur »komische Verwandlung«, erklärt Sammy Tavalis ziemlich zu Beginn seiner Mitternachtsshow im BKA. Er möchte sich neben Frauenrollen vom Müllkutscher bis zum Funktionär in alles und jeden verwandeln, wozu er Lust hat, und das übliche Schema von Travestieshows durchbrechen. Eines hat »der Mann, der wie Telly Savalas heißt« bis dahin schon bewiesen: Er kann live musizieren und singen, und das sogar gut. Und außerdem ist er nett, sympathisch. Das Publikum mag ihn (die Rezensentin auch).

Aber ein wirklich anderes, neues Konzept hat Sammy Tavalis dann doch nicht auszuweisen. Sicher, da ist der Penner vom Bahnhof Zoo in einer sehr bemüht pantomimischen Nummer Für wenig Geld macht er Musik macht und muß sich dafür noch beleidigen lassen. Der verkrachte Mann träumt von einer »Armee der Penner«, die es den Ignoranten schon zeigen wird. Oder der frustrierte, alternde Souffleur, dessen Talent vom trotteligen Direktor nicht erkannt wird.

Sammy Tavalis versucht, Gerechtigkeitssinn und Kritik spielen zu lassen, die Underdogs unserer Gesellschaft zu zeigen, aber er bleibt dabei in niedlichem, rührseligen Sozialkitsch stecken. Das geht vorne rein und hinten wieder raus, und wenn es das Publikum fröhlich klatschend goutiert, dann erinnert auch das letztlich nur an Göttinger Reisebustouristen.

Ansonsten gibt es wieder jede Menge — mal mehr, mal weniger komische — Verwandlungen zur Frau, — das hat man alles schon mal gesehen: Howard Carpendale wird zu Howardine Karpfenquäl und schmettert in der Mickeymouse-Schnellfassung von »Dann geh doch« mit vorwärtsgerecktem Haarteil und Putzteufel-Gewand ihrem imaginären Liebhaber eine überdimensionale Nagelfeile entgegen. Natürlich bleibt bei dieser Playback-Version auch die Schallplatte hängen, und ein hysterisch auf- und zuklappender Mund versucht die so offenkundig inszenierte Panne zu beheben.

Hauptsache, dem Publikum gefällt's immer wieder. Schließlich hat dieses eingangs auf die Frage von Moderator-Sammy nach der Erwartungshaltung für den begonnenen Abend auch nicht mehr zu fordern gehabt als »Spaß« und »Unterhaltung« — bekanntlich eine ganz individuelle Angelegenheit. Wo sich viele fröhlich im Einheitstakt amüsieren, drängt es die anderen zur überstürzten Flucht. Denn so groß ist der Unterschied schließlich nicht zwischen einer gut-deutschen Unterhaltungssendung voll hysterisch bester Laune und sabbernden Schlagerstars und einer Heino-Nummer von Sammy Tavalis, die unter dem Vorzeichen »Persiflage« die Leute ganz ungebrochen zum Schunkeln, Mitsingen und Taktklatschen bringt. Anja Poschen

Freitags und samstags, 0.00 Uhr im BKA am Mehringdamm.