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Marina Zwetajewa

Am 2. September 1992 veröffentlichte die Moskauer Literaturnaja gaseta zwei Briefe von Marina Zwetajewa aus den Jahren 1939/40 an den damaligen Volkskommissar des Inneren, Lawrentij Berija. Die Existenz dieser Briefe hatte man bisher nur vermutet, denn es fanden sich Entwürfe dazu in Zwetajewas Arbeitsheft. Jetzt endlich wurden die Originalbriefe aus den Archiven des KGB freigegeben und von Maäl Feinberg und Jurij Kljukin publiziert.

Zur Vorgeschichte: Die russische Lyrikerin Marina Zwetajewa (1892-1941) war 1922 ihrem Mann Sergej Efron, der für die Weißgardisten gekämpft hatte, in die Emigration nach Prag und 1925 nach Paris gefolgt. Dort engagierte sich Sergej Efron bald im „Bund der Heimkehrer in die Sowjetunion“, der für den stalinistischen Geheimdienst arbeitete. 1937 war er mitbeteiligt am Mord an Ignaz Reiss, einem ehemaligen Agenten, der sich von Stalin und seiner Partei losgesagt hatte. Efron floh über Spanien nach Moskau. Zwetajewa folgte ihm 1939 nach.

Das Wiedersehen war kurz. Im Herbst 1939 wurde zuerst die Tochter Ariadna Efron verhaftet, dann Sergej Efron. Um seine Verurteilung abzuwenden oder ihn wenigstens doch noch einmal wiederzusehen, schreibt Zwetajewa an Berija.

Marina Zwetajewa hat sich am 31. August 1941 in der Evakuierung in Jelabuga erhängt. Sergej Efron wurde — so teilen die Herausgeber der Briefe mit — am 16.Oktober 1941 in Moskau erschossen. Ihr Sohn Georgij fiel 1944 an der Front. Ariadna überlebte und konnte nach der Rehabilitierung ihrer Eltern 1956 nach Moskau zurückkehren.

Heute lebt außer Zwetajewas Schwester Anastassija niemand mehr von der Familie. Aber erst heute ist die Dichterin voll und ganz und unzensiert in ihr Land heimgekehrt. Ihr hundertster Geburtstag am 26.September alten Stils (bzw. am 8.Oktober unseres Kalenders) wird in Moskau mit einer großen Gedenkausstellung, der Eröffnung eines Zwetajewa-Museums und einem internationalen Symposium geehrt. In hundert Jahren, „wenn man mich ,entdecken‘ (aber nicht ausgraben!) wird“, schrieb Zwetajewa 1931 an ihre Prager Freundin Anna Tesková... Marie-Luise Bott

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