Engholm singt ein Lied für Maastricht

Regierung und SPD-Opposition verteidigen Maastricht/ Bundesrat für Ratifizierung/ SPD-Chef Engholm beschwört die Beatles und Hermann Hesse als Zeichen europäischer Vielfalt  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Europa, rief SPD-Chef Björn Engholm aus, das sei doch „weit mehr als die Bürokratie, über die wir manchmal klagen“. Es seien Kundera und Pavarotti, die Beatles und Hermann Hesse, Lion Feuchtwanger, Andrzej Wajda und Günther Grass, die für uns Europäer faszinierender seien „als jedes Dallas, jedes Denver und jedes Tuttifrutti“.

Warum der Oppositionsführer Hesse wählte und nicht Thomas Mann, warum Feuchtwanger und nicht Robert Musil, blieb sein Geheimnis. Dennoch war Engholm gestern in Bonn eine Ausnahme. Auf zwei Bühnen gleichzeitig, im Bundestag und dem Bundesrat, lobten Redner von CDU, SPD und FDP unisono das Maastrichter Vertragswerk als „Schritt in die richtige Richtung“, zeigten sich aber zumeist als lustlose Pflichtverteidiger der europäischen Union.

Der Bundeskanzler beschwor in einer Regierungserklärung die Folgen eines Scheiterns von Maastricht und warnte, die europäische Einigung würde dann um „viele, viele Jahre zurückgeworfen“. Neuverhandlungen könnten auch das Erreichte gefährden, assistierte Außenminister Klaus Kinkel (FDP). Während Kinkel auf dem Weg zur Ratifizierung Probleme in Dänemark und auch in Großbritannien einräumte, nannte Kohl unverändert den 1. Januar 1993 als Termin für die Inkraftsetzung des Vertrags. Maastricht sei „nicht der Grundstein zu einem europäischen Überstaat, der alles einebnet“, versicherte der Kanzler. Entscheidungen müßten auch in Zukunft „nach Möglichkeit auf der Ebene, die den Bürgern am nächsten steht“, gefällt werden. Gleichzeitig wandte sich Kohl gegen den pauschalen Vorwurf, „Brüssel sei an allem Schuld“. Selbstkritisch räumte er ein, auch Deutschland habe sich schon an „Manövern“ beteiligt, bei denen die EG für Dinge verantwortlich gemacht worden sei, die tatsächlich auf Vorschläge einzelner Nationen zurückgegangen seien.

Kohl setzte sich erneut für eine stärkere Demokratisierung der Gemeinschaft ein, äußerte sich aber nicht zu der Frage, ob der EG-Sondergipfel am 16. OKtober in Birmingham Ergänzungen des Vertrags bringen könnte. Er sei sich aber sicher, daß spätestens bis 1996 die demokratischen Kontrolle der EG-Institutionen „durchgreifend“ verbessert werden könne.

Während Kohl an die Adresse Großbritanniens vor „einseitigen Schuldzuweisungen“ für die Turbulenzen im Europäischen Währungssystem (EWS) warnte, attestierte Oppositionsführer Engholm der Bundesregierung eine Mitverantwortung. Sie habe mit ihrer Haushaltspolitik die Bundesbank zu einer Hochzinspolitik „genötigt“.

Engholm verteidigte Maastricht und warnte, „wer nein sagt, riskiert den Zerfall der Europäischen Gemeinschaft insgesamt“. Gegenüber dem Ruf nach einer Volksabstimmung in Deutschland sei er „skeptisch“, meinte er. Um das Vertrauen der Bürger zu sichern, müßten Bundestag und Bundesrat Gelegenheit für eine qualifizierte Beratung haben, bevor Deutschland 1996 oder 1999 an der dritten Stufe der Währungsunion teilnehme.

Engholm warnte davor, den osteuropäischen Staaten schnelle Zusagen für eine EG-Mitgliedschaft zu machen. Ein Europa „von Lissabon bis Wladiwostok“ sei weder denkbar noch wünschenswert. Auch die Türkei könne in absehbarer Zeit nicht Mitglied werden. Der SPD- Chef wandte sich gegen Waffenlieferungen an Ankara. „Wirtschaftshilfe ist besser als Militärhilfe“, sagte er.

Als „Plagiat der deutschen Einheit“ kritisierte PDS-Chef Gregor Gysi den Maastrichter Vertrag. Auch hier werde „hastig“ etwas „zusammengenagelt“. Wie der PDS- Chef setzte sich auch Gerd Poppe (Bündnis 90/Grüne) für eine Volksabstimmung über Maastricht ein.

Der Bundesrat sprach sich einstimmig für eine Ratifizierung aus, äußerte aber auch Vorbehalte. Bayerns Innenminister Edmund Stoiber (CSU) bemängelte, Maastricht sei „zweifellos eine Kopfgeburt“. Der Berliner Bundessenator Peter Radunski (CDU) forderte Brüssel auf, Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten und Regionen zurückzugeben.