Ein Marxist mit Idealen

■ Gesichter der Großstadt: Die Hoffnung auf eine humanistisch-kommunistische Gesellschaft hat Heinrich Saar trotz Emigration und DDR-Haft nie aufgegeben

Eigentlich, so sagt er, sei er ein geselliger Mensch, »aber die Umstände zwangen mich in die Lage des Einzelkämpfers.« So schlägt sich der 72jährige Heinrich Saar trotz seiner Sehbehinderung auch heute noch gut alleine durchs Leben. Seit zehn Jahren wohnt er in Kreuzberg und ganz gerne, »obwohl es ja hier sehr lebhaft und turbulent zugeht«. Sein Outfit, bestehend aus Jeanslatzhose, schwarzem Ledernietengürtel und Espadrillas — es kann auch mal ein poppiges Hawaiihemd sein — paßt gut in den Kiez.

Am liebsten aber sitzt er in seiner Zweizimmerwohnung an seinem schweren alten Schreibtisch, arbeitet an seiner Autobiographie oder an seiner Sammlung von Erzählungen, umgeben von der umfangreichen Sammlung von Büchern in »seiner Bibliothek«. Vergeblich allerdings sucht man nach Familienfotos. Statt dessen finden sich zwischen Bücherregalen und Schreibtisch Bilder von Erich Mühsam, Rosa Luxemburg und ein kleines Poster, auf dem Trotzki und die anderen Mitglieder der 2.Kommunistischen Internationale abgebildet sind. Hier im Kreise seiner »geistigen Verwandtschaft« fühlt er sich wohl.

Karl Marx und dem Philosophen Hegel gilt sein besonderes Interesse, und dieses Interesse hat seinen Lebenslauf auch entscheidend bestimmt. Seine Eltern wurden 1933 als Sozialisten von der Gestapo verhaftet. Nach der Freilassung flohen sie mit ihrem Sohn ins Ausland, zunächst in die Tschechoslowakei und dann nach Paris. Als Soldat der tschechischen Auslandsarmee hat Heinrich Saar noch die letzten Jahre des Krieges erlebt. Nach dem Ende des Krieges ließ er sich in Leipzig nieder, um Geschichte und Philosophie zu studieren. Seine Lehrtätigkeit in den Fächern Philosophie und Geschichte der Arbeiterbewegung an der Berliner Humboldt-Universität, die er 1952 als Assistent aufnahm, dauerte ganze sechs Jahre. Dann wurde er wegen »staatsfeindlicher Äußerungen« zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Wegen »guter Führung« wurde er nach drei Jahren begnadigt, mußte sich aber fortan mit Hilfsarbeiten zufriedengeben. Um dennoch seinen Interessen nachgehen zu können, gründete er in Leipzig einen Philosophiezirkel. Unter anderem widmete sich dieser Zirkel Ende der siebziger Jahre konspirativen Aktionen, um für die Freilassung des damals inhaftierten Rudolf Bahro zu kämpfen. Ein Flugblatt wurde ihm zum Verhängnis. Der zweite Prozeß, die zweite Haftstrafe von siebeneinhalb Jahren wird 1978 über ihn verhängt. »Ich wollte, daß sich alle oppositionellen Gruppen in der DDR zusammenschließen«, sagt er über seine damaligen Ziele, »viel Hoffnung, daß sich was ändert, habe ich nicht gehabt, aber ich meinte es ernst mit dem Marxismus und mußte einfach etwas gegen dieses stalinistische System tun.« Im Stasi-Gefängnis in Bautzen muß er drei Jahre seiner Haft absitzen, bevor er, für ihn völlig überraschend, von der Bundesrepublik freigekauft wurde. So gelangte er 1982 schließlich nach West-Berlin. Eine politische Heimat hat er hier aber nie finden können. »Viele von den Marxisten hier sind verbohrte Traditionalisten«, findet er. Sein Anliegen aber, »die Grundgedanken des Kommunismus zu retten«, die »die Grundlage für eine humanistisch-kommunistische Gesellschaft« sind, verficht er weiter. Kristina Vaillant