Sanssouci
: Betschlag

■ Erntedank im Westen

Auf dem Ludwigkirchplatz trotzt das Wilmersdorfer Gartenbauamt dem beginnenden Herbst: Noch blüht alles lichterloh, wo heute zum Erntedankfest ein »Basar der Einen Welt« stattfindet: Am bislang einzigen Stand kostet alles zwei Mark, wobei es sich um die Restbestände der Gemeinde-Bibliothek zu handeln scheint. Da liegen »1000 Jahre Bistum Berlin« neben einem Heftchen aus dem Jahr 1927, Titel: »Du und die Volksgemeinschaft«.

Aus dem Kirchenschiff schallt der Kinderchor bis auf den Platz. Mit glockenhellen Stimmen schmettern die jungen Kehlen das Loblied Gottes: »Hallelu, Hallelu, Halle-Luha«. Der Rhythmus wird mitgeklatscht, und einige ältere Damen, die ihre Stirn in Falten legen, ob das nicht ein bißchen zu viel der Dritten Welt in ihrer Kirche darstelle, können die Kinderhände nur noch mehr anfeuern. Das Evangelium kommt kurz und knapp: Jesus trifft unterwegs zehn Aussätzige, die er heilt, doch nur einer kommt zurück, um sich zu bedanken. Will sagen: Undank ist der Welten Lohn, doch nicht an diesem Sonntag: Wozu brauchen wir ein Erntedankfest, fragt der Pfarrer die Kinder, wo wir doch heute alles kaufen können? — Deshalb sollen die Früchte des Gartens und der Felder heute als Symbol dienen. Der Apfel als Zeichen für die Gesundheit, die Birne als Dank für die lieben Eltern und der Kürbis als Symbol für den sicheren Schulweg. So selbstverständlich sei das alles nicht, interveniert der Pfarrer schnell für die Erwachsenen, denen er soviel Phantasie nicht zutraut und die sich mal überlegen sollen, daß es gar nicht so selbstverständlich sei, daß hierzulande kein Bürgerkrieg herrsche und daß sie kein Asyl beantragen müssen.

So weit die Worte, es folgen die Taten: Den Höhepunkt der Messe stellt die Prozession der Früchte dar, die nun von kleinen Kinderhänden in großen Körben zum Altar getragen werden: Äpfel und Brot, Tomaten und Paprika werden freudig durch die Kirche geschleppt, währenddessen der Kinderchor wieder erschallt: »Lieber Gott, wir danken Dir, für die schöne, frische Luft.« Die Kinder sind begeistert, und auch der Pfarrer schaut sehr zufrieden drein. »Ihr müßt mir alle helfen«, hatte er vorher die kleinen Christen ganz salopp ermuntert, was ungefähr so klang wie die Frage beim Kasperletheater: »Seid ihr alle da?« Lutz Ehrlich