Nachschlag

■ Hochhuth im Osten

Rolf Hochhuth sucht den Skandal. Und er braucht ihn. Nach der Ermordung des Treuhand-Chefs Detlev Rohwedder im April 1991 hatte er schnell ein Stück geschrieben, in dem die sozialen und gesellschaftlichen Gründe für den Mord debattiert werden. Anstatt dieses aber umgehend zur Diskussion zu stellen, sprach er zunächst lieber selbst darüber, viel und mißverständlich. Politik und Finanz schnappten prompt nach dem Brocken, den er ihnen hinwarf, und schimpften, er wolle Rohwedder an die posthume Ehre. Da empörte sich nun wieder Hochhuth und deutete auf die Schreibtischschublade im Baseler Heim. Erst solle man lesen. Mittlerweile hat man gelesen, der Spiegel publizierte die Rohwedder-Szene, der Rest folgt bei Rowohlt im Winter. In künstlerischer Hinsicht ist der Anfang von »Wessis in Weimar« schauerlich: hölzern und kitschig. Ohne das politische Vorspiel in den Feuilletons hätte vermutlich kein Hahn nach diesem Enthüllungsdrama gekräht. So aber geht es ums Ganze, für oder gegen Hochhuths Drama zu sein ist jetzt eine Frage der gesellschaftlichen Moral. Kunst kommt von »wollen«.

Am Freitag las Rolf Hochhuth in einem Literaturcafé in Friedrichshain. Schon als er den übervollen Raum betrat, erntete er solidarischen Beifall. Er beginnt mit etwas »Heiterem«. Ach. Nur wer Hochhuth kennt, weiß, was ich leide! Anekdoten und Stammtischwitze im Gewand der Erzählung, historische Fakten und Zahlen zu einem Gedicht verschnürt. Und so weiter. Dann »Wessis in Weimar«, erste Szene. Mucksmäuschenstill ist es, während Hochhuth mit sächsisch gefärbten Konsonanten die ganze Szene lispelt, ungekürzt und mit umständlichen Regieanweisungen. Endlich: Schuß, Rohwedder tot, Vorhang, Applaus.

Im Gespräch gab der Dramatikus zu, die Position Rohwedders wohl etwas zu schwach gestaltet zu haben, aber es seien ihm eben keine besseren Argumente eingefallen. Gelächter. Andere Frage: daß sich doch die RAF zu dem Mord bekannt habe und er Argumente für ein Attentat aus den Reihen der DDR-Bürger vorlege. Bekennerschreiben seien »ziemlich billig herzustellen«, sagt Hochhuth, und wenn es wahr sei, daß die Stasi die RAF ausgebildet habe, sei der Graben »von denen zu einigen hier auch nicht so groß«. RAF, Stasi, arbeitslose DDR-Bürger: alles eins. Kein Protest. »Wo Geld das Maß aller Dinge ist«, ruft Hochhuth, »muß Geld für alle da sein.« Beifall. Man dankt für das Engagement in Sachen Ex-DDR. Da steht er auf, dankt ebenfalls und geht. Wohl heim nach Basel, um rasch noch eine Schlußszene zu komponieren. Auftritt: der gerechte Dichter. Petra Kohse