Kuhglocken auf dem Ku'damm

16.817 Läufer und eine Million Zuschauer auf Berlin-Marathon/ Sieger: ein Südafrikaner und eine Berlinerin/ Innenstadt weitgehend autofrei/ Studie über Marathon '91: Umweltbilanz nicht nur positiv  ■ Von Ute Scheub

Berlin. Freude für die Citybewohner: Kuhglocken läuten auf dem Ku'damm, und Trillerpfeifen zirpen. Der 19. Berlin-Marathon am Sonntag vertreibt fast alle Autofahrer aus der Innenstadt und lockt rund eine Million Zuschauer an die 42,195 Kilometer lange Laufstrecke. Die Route, an der diverse Samba- und Jazzbands aufspielen, reicht von der Straße des 17.Juni über die Bezirke Mitte, Kreuzberg, Schöneberg, Steglitz zurück nach Charlottenburg. Mit Glockengebimmel, Trommelwirbel, Pfiffen und anfeuernden Rufen werden die 16.817 Läufer aus 67 Nationen in die Zielgerade vor »Wertheim« am Kurfürstendamm getrieben.

Streß für die Läufer: Der Südafrikaner David Tsebe, der die Rundstrecke mit der Weltjahresbestzeit von 2:08:07 Stunden entlanghetzt, hat sich am Ende vor dem Kenianer Manuel Matias als schnellster Mann eine Preis- und Rekordprämie von 80.000 Mark verdient. Den Titel schnellste Frau errennt sich die Berlinerin Uta Pippig vor der Polin Renata Kokowska. Hinter ihnen Tausende, rund 80 Prozent davon männlichen Geschlechts, die sich keuchend ins Ziel schleppen. Ihre Trikots in Grellpink oder Quietschgrün schlappen vor Schweiß, über dem Ku'damm wehen statt Abgasen diesmal linde salzlaue Lüfte. Neben der vergeblichen Anstrengung, selbst zu gewinnen, müssen die Mitläufer eins als besonders gemein empfunden haben: die Aktion jener Olympiagegner, die auf den Yorckbrücken Farbeimer deponierten und die Farbe auf die Führungskolonne herabregnen ließen. Die Läufer bekamen jedoch nur einige Spritzer ab.

Freude für Canon & Co: Unübersehbar ist es keine normale Ziellinie, sondern eine Canon- Linie, die den erschöpften Läufer empfängt, sobald er die mit Canon- Fähnchen lustig bewimpelten letzten Meter passiert hat. Durchs Schlußtor torkelnd, wird er sofort von freudigen Helfern umzingelt, die ihm vor der Kulisse einer meterhohen Isostar-Büchse und bunten Reebok-Fetzen ein Canon-Plastiktuch um die Schultern schlingen. Weiterer Lohn der Angst: Auf den Tischen am Breitscheidplatz türmen sich Tausende von Medaillen mit deutschlandfarbenen Bändern.

Streß für die Umwelt: Und auf den Straßen türmt sich der Plastikabfall, den eine Million Menschen heutzutage fast zwangsläufig hinterläßt. Auch in anderer Hinsicht scheint die Umweltbilanz des Marathons trotz autofreier City nicht unbedingt zum Positiven auszuschlagen. Denn was dort an Abgasen eingespart wurde, bliesen die auswärtigen Mitläufer und Marathon-Besucher auf der Fahrt nach Berlin in die Luft. In einer vom Sport-Club Charlottenburg in Auftrag gegebenen und vom Wirtschaftssenator finanzierten Studie wird die Anzahl der zum Berliner Dauerlauf rollenden Autos auf knapp 5.000 geschätzt. Die Forscher von »Kommunaldata« schlagen deshalb vor, daß sich Berlin mehr als bisher um einen »umweltschonenden Marathon« bemüht, die Teilnehmer zur Anfahrt mit der Bahn auffordert und ihnen nach dem Muster des Hamburger hanse-Marathons eine Fahrkarte für den Berliner Regionalverkehr schenkt. Damit die Kuhglocken noch stilvoller über den Ku'damm scheppern.