Fast alle glauben an Brandstiftung

■ Anschlag auf die „jüdische Baracke“ im ehemaligen KZ Sachsenhausen/ Polizei wollte zunächst technischen Defekt als Brandursache nicht ausschließen

Oranienburg (taz) — Vor dem eisernen Tor mit der Inschrift „Arbeit macht frei“ des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen drängen sich am Sonnabend nachmittag die Menschen. Sie haben eine Nachricht gehört, die sie grausen macht. In der Nacht von Freitag auf Sonnabend hat es in der Mahn- und Gedenkstätte gebrannt, ausgerechnet die sogenannte „jüdische Baracke“, eine von zwei authentischen Zeugnissen, die an das Leid der jüdischen Häftlinge erinnern, ist fast zerstört. „Wo leben wir eigentlich?“ fragen sie. Fast alle glauben an Brandstiftung: Die knapp drei Meter hohe Umzäunungsmauer ist leicht zu überklettern, der Wachschutz besteht aus zwei Personen.

Zur Brandstätte dürfen nur wenige Journalisten, das Gelände ist großräumig abgesperrt. Die Spurensicherung arbeitet mit Hochdruck. Die zerstörte Baracke Nr. 38 steht wenige Meter vom einstigen Appellplatz entfernt. Es ist ein zweiflügliger Bau, etwa 300 Quadratmeter groß. Völlig ausgebrannt ist der hintere Teil, der Flügel, der der Umzäunungsmauer am nächsten ist. Die Dachbalken sind heruntergebrochen, die Fenster zerplatzt, der Fußboden ist verkohlt. Verbrannt sind die nachgebildeten, dreistöckigen Schlafkojen und die kleine Ausstellung über das jüdische Leid im sogenannten „Aufenthaltsraum.“ Zerstört ist der Raum, den vor 14 Tagen der israelische Ministerpräsident Rabin besucht hat. Damals wurden die Originale der Ausstellung in ein neu errichtetes jüdisches Museum auf dem Gelänge gebracht. Vernichtet sind nur Kopien. Beschädigt wurde auch die dicht danebenliegende Baracke Nr. 39, auch sie ein „Original“. An die Brandstätte eilen der brandenburgische Innenminister Alwin Ziel und ein Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Unfaßbar“, sagen sie. Ministerpräsident Stolpe läßt eine Erklärung verlesen: „Ich kann nur hoffen, daß sich die Vermutung einer Brandstiftung nicht bewahrheitet.“ Noch will die Polizei einen technischen Defekt, eine Selbstzündung des in der Schlafbaracke montierten elektrischen Verteilungskasten nicht ausschließen. Jeder aber weiß: Ein Brand in der Nacht zum jüdischen Neujahrsfest, eingerahmt durch pogromähnliche Attacken gegen Fremde, wäre schon ein unglaublicher Zufall. Noch nie hat es in Deutschland einen Brandanschlag auf ein ehemaliges Konzentrationslager gegeben. Inzwischen hat die Oranienburger Polizei, deren Ermittlungsarbeit von Staatsschutz und Landeskriminalamt unterstützt wird, einen „technischen Defekt“ ausgeschlossen. Zum Tathergang schweigt man noch, auch die Behauptung des Oranienburger Polizeileiters, Peter Hunger, in seiner Stadt gäbe es „keine politisch aktiven Rechtsradikalen“, wird nicht wiederholt.

Fast unbemerkt häufen sich jetzt Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland. Vor knapp drei Wochen wurden Friedhöfe bei München und in Berlin geschändet. Die kleine Gemeinde in Halle erhielt Drohbriefe. Anita Kugler