„Sind doch keine Ausländer mehr da“

Ein Jahr nach dem Pogrom: Nachdem die Ausländer weggezogen sind, verstehen die BürgerInnen in Hoyerswerda den Sinn der Antirassismus-Demonstration nicht  ■ Von Detlef Krell

Der Willkommensgruß an der B97 ist übersprüht. Jetzt heißt es: „Hoyerswerda grüßt Rostock“. Die Stadt ist umstellt. Polizei und Bundesgrenzschutz filzen verdächtig erscheinende Autos und jeden Bus, der junge Leute heranfährt. Hoyerswerda hat Angst. Heute wollen sie kommen, die Chaoten aller Bundesländer, und zum Sturm auf die sonnabendnachmittägliche Ruhe blasen. In der Zeitung stand es, auch der Bürgermeister meinte, das gebe Randale.

„Wie im vorigen Jahr, als diese Verrückten durch die Stadt zogen“, erinnert sich ein Mann, der vor seiner Haustür beobachtet, wie sich die „Chaoten“ sammeln. Er wohnt neben dem Haus, das damals ein Ausländerwohnheim war und von Hunderten Jugendlichen — unter dem Beifall der Eltern — tagelang mit Steinen, Brandflaschen und Stahlkugeln angegriffen wurde. Darüber will er nicht sprechen. Ihn erregen die „Dauerdemonstranten, die wollen wir hier nicht haben“. Hoyerswerda vor einem Jahr, das war ein „berechtigtes Theater“. Er habe auch erfahren, daß die Stadt ein Flüchtlingsheim bekommen soll: „Dann wird es wohl wieder Theater geben.“ Nur gegenüber „den Jugoslawen“, da würde er „ein Auge zudrücken, die wollen ja überleben“.

Beifälliges Nicken im Umkreis. Ein Mann, um die Fünfzig, erinnert sich, daß „wir früher Tausende Ausländer in der Stadt hatten. Wir haben gut mit ihnen zusammengelebt. Da gab es keine Probleme.“ Warum es sie heute gibt? „Den Ausländern, die hierher kommen, will ich gar keine Schuld geben“, erklärt er großzügig. „Die sehen, daß sie hier besser leben können, dann kommen sie eben her. Schuld ist der angebliche Rechtsstaat, der das zuläßt. Aber“, schließt er zuversichtlich, „in der Regierung ist was in Bewegung gekommen.“ Die BürgerInnen stehen in Sportdreß oder Kittelschürze auf dem Gehweg, gucken. „Diese Kinder!“ schimpft eine Frau. Ein Passant weiß zu berichten, daß er „nur Besoffenen“ begegnet ist. Etwa 500 Jugendliche haben sich inzwischen eingefunden. Die Demo müßte längst begonnen haben, doch irgendwo vor den Toren der Stadt stecken die Berliner Busse in den Straßensperren des BGS. Grüne Uniformen wuseln durchs Gehölz, ein Hubschrauber zieht Kreise. Ein Autonomer aus Dresden zieht sich die Kapuze über, er hat auf dem Dach eine Kamera entdeckt. Für die Teenager, die sich vor dem Haus Käthe-Kollwitz-Straße 1 langweilen, sind die Ankömmlinge „Chaoten, die alles keimig machen“. Was die Demo soll, will ihnen nicht in den Kopf. „Sind doch keine Ausländer mehr da.“ Eigentlich sei ihnen das so ziemlich egal, geändert habe sich nichts. Von Klubs, Sport und Spiel mit Sozialarbeitern und anderen Wundermitteln, die vor einem Jahr von den Politikern für ihre unartigen Kinder entdeckt wurden, haben sie nichts erfahren. Die Tage gehen auch so dahin, Discos gibt es genügend im Viertel.

Hoyerswerda fühlt sich überfallen, versteht die Welt nicht mehr. „Die wissen nicht, was sie anstellen sollen, darum neigen sie zur Kriminalität“, verkündet jemand. Drei ältere Damen haben die Antifa- Demo vom Vorjahr noch als „Bürgerkrieg“ in Erinnerung. Ja, auch die tagelange Straßenschlacht wäre schlimm gewesen. Nun seien doch aber „unsere Bürger“ im einstigen Ausländerheim eingezogen, und alles wäre ordentlich.

Endlich setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Voran die Älteren von der PDS, dann etwa 700 meist junge Antifas aus Berlin, Dresden, Leipzig, Cottbus und anderen Städten. Ein Alter brüllt „Sieg Heil“ vom Balkon und streckt den rechten Arm. Wütende Demonstranten werden von den BGSlern wieder in die Demo geschickt. Am nächsten Block grüßt der Lautsprecher freundlich: „Schönen, guten Tag, liebe BürgerInnen. Kommt herunter, reiht euch ein.“ Sekunden später schallt es: „Nazis raus!“ Das ganze Demo- Repertoire wird abgespult. Wenige Einheimische lassen sich nicht abschrecken und gehen ein Stück mit. Auf dem Lausitzer Platz heißt es dann: „Ohne die Menschen werden wir nicht gegen den Faschismus kämpfen können.“ Das war's dann. Landrat Schmitz (CDU) kann im sicheren Versteck aufatmen. Keine Randale. Die Polizei zählt durch, kommt auf 25 „waffenähnliche Gegenstände“ und 19 „Freiheitsentziehungen“.