Gerät Europa aus dem Takt?

■ Regierung bestreitet deutsch-französische Absprache über kleine Währungsunion; „Europa der zwei Geschwindigkeiten" findet dennoch Zuspruch

Bonn (dpa/ap/taz) — Seit dem Währungschaos und dem halbherzigen Jein der Franzosen zu den Maastrichter Verträgen beschäftigt Europas Politiker derzeit nur eine Frage: Was soll nur aus Europa werden? Für den Zug in die Gemeinschaft, so hatte Kanzler Kohl die Nachbarn jenseits des Rheins gewarnt, dürfe es keinen Halt geben. Doch während der EG-Fahrplan immer mehr aus den Fugen gerät, scheinen Helmut Kohl und Fran¿ois Mitterrand bereits einen anderen Weg gefunden zu haben: das Europa der zwei Geschwindigkeiten. Falls die Skepsis gegenüber der geplanten Wirtschafts- und Währungsunion weiter anhalte, so berichtet der Spiegel, wollten der Bundeskanzler und Frankreichs Staatspräsident eine gemeinsame Währungspolitik notfalls ohne die übrigen EG-Partner durchsetzen.

Bei ihrem Treffen am Dienstag sollen sich die beiden EG-Weggefährten bereits auf einen Notplan für eine kleine Währungsunion geeinigt haben, meldet das Magazin unter Berufung auf Kanzler-Berater. Der Franc und die Mark werden den Plänen zufolge mit festen Wechselkursen zusammengeschweist; eine gemeinsame, paritätisch besetzte und von den Regierungen in Paris und Bonn unabhängige Notenbank soll die Geldmenge kontrollieren und die Zinsen festlegen. Als Sitz sei Frankfurt, als Bankchef ein Franzose vorgesehen. Die kleine Währungsunion soll anderen wirtschaftlich stabilen Ländern offenstehen — etwa den Benelux-Staaten Belgien, Luxemburg und Holland oder den EG-Anwärtern Österreich und Schweiz.

Der Bericht wurde von einer Bonner Regierungssprecherin als „frei erfunden" zurückgewiesen. Außenminister Klaus Kinkel, der wie sein Kabinettskollege Jürgen Möllemann von der deutsch-französischen Vereinbarung nicht informiert gewesen sein soll, lehnte inzwischen einen solchen Sonderweg kategorisch ab: Die EG sei zu dem Währungsverbund zu zwölft angetreten — dabei solle es bleiben. Bei der Opposition und unter CDU-Politikern fand ein Europa der zwei Geschwindigkeiten dagegen viele Fürsprecher. Die finanzpolitische Sprecherin der SPD- Fraktion, Ingrid Matthäus-Maier schlug vor, mit einer „Kern-Währungsunion“ zu beginnen. Der CDU-Abgeordnete Lamers sagte, er sehe darin schon seit langem eine Option.

Die christdemokratischen Regierungschefs und Parteiführer der EG-Staaten hatten sich am Freitag nach einem Treffen in Brüssel entschlossen gezeigt, die Wirtschafts- und Währungsunion mit allen EG- Mitgliedern zu verwirklichen. Der Maastrichter Vertrag solle möglichst bis zum Ende des Jahres in allen Mitgliedsstaaten ratifiziert sein, betonten sie in einer Erklärung. Auch die britische Regierung hat angesichts der lauter werdenden Kritik im Lande mit einer umfassenden Verteidigung des Maastrichter Vertrags begonnen. Der Staatssekretär im Außenamt, Tristan Garel-Jones, sagte am Samstag, der Vertrag sei ein „persönlicher Triumph für Premierminister John Major und Großbritannien“. Major und Frankreichs Staatschef Mitterrand wollen sich in den nächsten Tagen zu einem Gespräch über die zukünftige Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft treffen.

Eine baldige Ratifizierung in Großbritannien ist aber derzeit nicht abzusehen, nachdem Major vergangene Woche erklärt hatte, das Ratifizierungsgesetz werde erst dann wieder eingebracht, wenn Dänemark deutlich gemacht habe, in welcher Form es den Vertrag dem Volk erneut präsentieren will. es