Ein Ende der Notlügen

■ Die Freie Kinderschule in Bremen wird nach zwölf Jahren Geplänkel jetzt anerkannt

Bis vor kurzem wohnte der kleine Klaus offiziell bei Tante Frieda in der Provence und besuchte dort die Schule. Nach vier Jahren kam er zurück nach Bremen, um in die 5. Klasse aufgenommen zu werden. Zu ähnlichen Notlügen mußten auch die Eltern seiner Mitschüler greifen, um der Schulpflicht Genüge zu tun. In Wirklichkeit gingen diese Kinder in die Freie Kinderschule Bremen. Aber die gab es eigentlich nicht, weil die Bildungsbehörde — auch gerichtlich bestätigt — ihr die Anerkennung verweigerte.

Das jahrelange Dilemma soll dank der Ampel-Koalition nun ein Ende haben: Aus der Freien Kinderschule wird voraussichtlich eine Modellschule in staatlicher Trägerschaft, erläutert ein Sprecher der Bildungsbehörde. Schon jetzt können die Kinder von der umstrittenen Kinderschule regulär auf weiterführende Schulen wechseln.

Damit endet auch ein seit zwölf Jahren währender Streit zwischen dem 1980 gegründeten pädagogischen Schulprojekt in Selbstverwaltung und der Bildungsbehörde. 1985 war der bisher letzte Versuch um die Anerkennung der Kinderschule gescheitert, und seit 1983 hatte es immer wieder Konflikte mit den Behörden — begleitet von Bußgeldverfahren — gegeben. Die Auseinandersetzung gipfelte 1987 in der Schließungsverfügung. Trotzdem nahm die Schule weiterhin Kinder auf. Ihr Hortbereich war allerdings nie umstritten und wurde staatlich gefördert. Das Schulgeld beträgt rund 260 Mark.

Grundidee ist, daß Kinder im Alter von vier bis etwa elf Jahren in altersübergreifenden Gruppen lernen und spielen. Auch der Unterricht basiert wesentlich auf Freiwilligkeit, erläutert die Lehrerin Gudrun Tolle. Derzeit besuchen etwa 20 Schul- und zehn Vorschulkinder die Einrichtung. Morgens zwischen 8.30 und 9.00 Uhr treffen sich alle Kinder und ihre Betreuer im „Toberaum“ zum gemeinsamen Tagesanfang. „Da sagen die Kinder, was sie doof finden, oder was sie am Tag so machen wollen.“

Dann gehen die Kinder in die von ihnen gewählten Gruppen, sei es nun zum „Unterricht in den Kulturtechniken“ oder zum Nähen, Töpfern oder Kochen. Und jede Woche gibt es einen „Mädchen-Jungen-Tag“, an dem sich die Kinder in getrenntgeschlechtlichen Gruppen zusammenfinden. Schulschuß ist um 15.00 Uhr.

Natürlich haben nicht alle Kinder den gleichen Spaß beim Rechnen, Schreiben oder Lesen. Aber kaum ein Kind, so berichtet Frau Tolle, muß wirklich dazu gezwungen werden. „Im letzten Jahr ist die Teilnahme an diesem Unterricht auch nicht mehr ganz so freiwillig.“ Auch zum Abschluß gibt es keine Zeugnisse.

Der Wechsel auf eine Regelschule fällt den Kindern nicht sonderlich schwer. „Unsere Kinder sind nicht klüger oder dümmer als andere“, meint Frau Tolle. Eventuelle Defizite würden meist in kurzer Zeit ausgeglichen. „Und bei Mädchen gibt es so gut wie nie Probleme.“ Größer ist die Umstellung auf die anderen Sozialstrukturen. Zuerst seien die Kinder in der neuen Schule sehr angepaßt. „Erst nach einem halben Jahr sagen sie, was ihnen nicht gefällt.“

Rückblickend auf ihre Zeit in der Freien Kinderschule sagt eine 17jährige Ehemalige: „In so einer kleinen Schule ist man noch eine Persönlichkeit. Man muß nicht bloß funktionieren.“ Claudia Reinhardt (dpa)