Volk ohne Weltraum Von Mathias Bröckers

Der geplante Festakt der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie zum 50. Jahrestag des ersten Starts der „V 2“-Rakete hat zu heftiger Kritik im Ausland geführt. Vor allem in Großbritannien, wo 1944 bei mehreren „V 2“-Angriffen Tausende von Zivilisten ums Leben kamen, wird die Geburtstagsparty für Hitlers „Wunderwaffe“ als geschmacklos empfunden — nicht nur von Boulevardblättern wie dem „Daily Star“, das in einer Fotomontage Helmut Kohl zwei Raketen in die Nasenlöcher steckte, sondern auch in den seriöseren Medien. Die Bonner Regierung hat die Kritik als einseitig und verfehlt zurückgewiesen: Schon das Motto der Veranstaltung — „Erbe, Verpflichtung, Perspektive“ — mache deutlich, daß die dunklen Seiten dieser „hervorragenden wissenschaftlichen und technischen Pionierleistung“ nicht verdrängt werden sollen. Den Regierungskoordinator für Luft- und Raumfahrt Erich Riedl (CSU) hat man allerdings als Schirmherr der Party schon mal zurückgepfiffen.

Während im KZ Sachsenhausen die Gedenkstätten in Brand gesetzt werden, stößt man in Peenemünde auf „50 Jahre Raumfahrt“ und den seligen Wernher von Braun an — und zwar ausgerechnet am Tag der neuen deutschen Einheit, dem 3. Oktober. Hätte mir jemand vor ein paar Jahren diese Geschichte erzählt, ich hätte sie für Scenario von Thomas Pynchon gehalten und sofort gefragt, ob er etwa eine Fortsetzung von „Gravitys Rainbow“ (Die Enden der Parabel) geschrieben hätte. Der Held dieses Romans, Sergeant Slothrop, ist auf merkwürdige neuro-technologische Art mit der „V 2“-Rakete verbunden: Immer dort, wo er im London des Jahres 1944 auf seiner Suche nach Sex fündig geworden ist, schlägt kurz darauf eine „V 2“ ein. Diese bizarre Verknüpfung ist Ausgangspunkt einer Geschichte über die Verschwörer des Informationszeitalters, die Psychologie und Technologie dazu benutzen, das Gehirn des Menschen zu manipulieren. Im Lichte der „V 2“-Rakete finden die irrationalen Zuckungen des 20. Jahrhunderts in diesem Roman eine brillante Erklärung: Die selbstmörderischen Taktiken der beiden Weltkriege dienten nicht einem politischen, sondern einem technologischen Ziel; sie wurden geführt, um Flugzeuge und Radio, Radar, Computer und Raketen zu entwickeln. Nur in antagonistischer Konkurrenz ist das Säugetierhirn lernfähig — prompt sorgt nach 1945 eine ideologische Gehirnwäsche für den Kalten Krieg und damit für die Wettbewerbssituation, in der die „V 2“ bis zu „SDI“, die Turing- Maschine zum Super-Computer weiterentwickelt werden kann.

Könnte es sein, daß das Säugetierhirn eine Phase der territorialen Eifersucht durchlaufen muß? Ohne den Kampf um knappe Güter jedenfalls säßen unsere Vorfahren noch heute in der Steinzeit und rauchten fröhlich Marihuana. Wohin führt es aber, wenn der von Pynchon imaginierte neuro- technologische Zusammenhang, die Koppelung von Penis und Rakete, weiterhin unbewußt Urständ feiert? Es gäbe eine Menge zu diskutieren auf einem Symposion zum 50. von Adis Wunderwaffe — an der Rampe in Peenemünde zu stehen und auf die Entjungferung des Weltraums anzustoßen, ist stillos. Deutsch eben.