„Ich lasse mich nicht an den Kochtopf verbrummen“

■ „Luxus Arbeit“ dokumentiert die Situation ostdeutscher Frauen

Zu Hunderttausenden werden ostdeutsche Frauen seit dem Beitritt in die Bundesrepublik „abgewickelt“. Unter marktwirtschaftlicher Regie sehen sie sich als vollwertige Erwerbstätige in Frage gestellt. Wie erleben und bewältigen ostdeutsche Frauen die radikalen Umbrüche? Mit dieser Frage besuchten vier Fotografinnen und Journalistinnen zwischen Februar 1990 und April 1992 Betriebe der Leipziger Region. Unterstützt von der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf entstand die Bild- und Textschau „Luxus Arbeit“, die weder dramatisieren noch beschönigen, sondern nüchtern dokumentieren will.

„Vorher waren Luxus: Bananen, Reisen, schnelle Autos, Bordelle, Ariel Ultra. Das alles haben wir jetzt. Dafür immer weniger Arbeit“, steht auf einer Textsäule neben lichten Schwarzweißaufnahmen, die Frauen in Maschinen- und Lagerhallen oder in beengter häuslicher Gemütlichkeit zeigen. Leicht hatten sie es nie, die Pralinenlegerinnen, Textilarbeiterinnen, Wäscherinnen, Zementwerkerinnen und Ingenieurinnen volkseigener Betriebe. Mit angespannten, verschwitzten Gesichtern, allenfalls ein verlegenes Lächeln in den Mundwinkeln, blicken sie gleichmütig in die Kamera. Die Fotografinnen Christiane Eisler aus Leipzig und die Bielefelderin Silke Geister geben mit ihren Bildern im 130seitigen Katalog ungeschminkte Auskunft über vergangene und gegenwärtige ostdeutsche Zustände. Heute bricht sich die Freude über die erste Parisreise, den Farbfernseher oder das Videogerät auch bei denen, die sich die neuen Freiheiten leisten können, an Unsicherheit und Existenzangst in einem Marktwirtschaftssystem, „von dessen Härten wir ja keine Ahnung hatten“. Sechs Firmenporträts belegen den enormen Arbeitsplatzabbau vor allem für typische Frauenbetriebe wie die Leipziger Textil- und Bekleidungswerke. Dort erhielten seit November 1989 mehr als 2.300 Frauen die Kündigung.

„Für die Rente zu jung, um was neues anzufangen, zu alt,“ erlebt sich plötzlich eine 49jährige Zementwerkerin, die sich vorher „einfach gut gefühlt“ hatte. Mit Bitterkeit sieht eine Schichtarbeiterin voraus, daß Frauen nun Männern wieder „schöntun“ müßten, um versorgt zu sein. Der eigene Verdienst und gesicherte Kinderbetreuung boten im DDR-Staat auch Frauen ohne Ehemann ein Auskommen. „Hausfrau spielen“ ist für die meisten weder möglich noch wünschenswert.

In den Betrieben geht die Angst um, von der nächsten Entlassungswelle erfaßt zu werden. „Nun traut sich keiner mehr, was zu sagen. Alle haben Angst, daß sie dann die Arbeit verlieren“, ärgerte sich eine Facharbeiterin. Daß keine „Schichtbusse“ mehr die nächtliche Heimfahrt besorgen, der „Frauentag“ oder „Haustag“ abgeschafft ist, wird angesichts der großen Bedrängnis wie nebensächlich abgehakt: „Gut, der Haustag ist weggefallen. Das merkt man vielleicht doch. Aber jetzt zieht man eben voll durch, mein Gott“, sagt eine 34jährige Arbeiterin. Nur vereinzelt finden sich positive Äußerungen wie die einer Textilingenieurin, die wegen der reicheren Auswahl an Stoffen und Zutaten heute mehr Spaß an ihrer Arbeit hat.

„Das Neue, daß man die Arbeit verlieren kann, ist das eine Gefühl. Das andere Gefühl ist, daß wir jetzt auch mal was sehen können, solange wir Geld verdienen“, faßt eine 52jährige Meisterin den Zwiespalt zusammen. Wer kann, erweitert seinen Horizont, kauft ein. Indes schaffen die anderen den Trabi ab und bleiben zu Hause. „Ich kriege in vierzehn Tagen 318 Mark Arbeitslosengeld. Da bezahle ich hier 407 Mark Miete, bekomme 110 Mark Wohngeld. Mein Auto habe ich jetzt abgemeldet, das kann ich mir nicht mehr leisten“, rechnet eine Arbeitslose vor. Erschreckt hat sie kürzlich mit eigenen Augen gesehen, was sie früher für Propaganda des DDR-Fernsehens hielt: die Obdachlosen im westlichen Frankfurt. „Wenn das so weitergeht, treibt es dich auch noch dahin“, ängstigt sie sich. Auch zu Hause in Leipzig wurden die ersten Obdachlosenheime eingerichtet.

Die plötzliche Kehrtwendung früherer Genossen findet manche Frau peinlich bis empörend. Trotz der Erleichterung über das Ende der „immer dümmlicheren Bevormundung der Partei“ fällt es schwer, sich mit den „Wessis“ anzufreunden. Leonie v. Manteuffel

Nach dem Debüt in Düsseldorf ist „Luxus Arbeit“ vom 9. November bis zum 4. Dezember 1992 im Leipziger Grassi-Museum (Täubchenstraße) zu sehen. Darüber hinaus kann sie von interessierten Institutionen bei der Hans-Böckler-Stiftung ausgeliehen werden.

Katalog im Buchhandel 28 Mark, in der Ausstellung kostet er die Hälfte.