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Fremde Menschen – deutsche Sitten

Kronberg nimmt seine Flüchtlinge nicht so wichtig/ Wohnungsnot und Ausländerfeindlichkeit in Rüsselsheim/ In Ramersdorf kämpfen Bürger und Oberhirten gegen Aggressionen  ■ Von Heide Platen

Schmucke Gassen, geputzte Fassaden, die neue Tiefgarage hat 15 Millionen Mark gekostet: Kronberg ist eine reiche Stadt vor den Toren Frankfurts. Die 18.000 Einwohner haben, gleich nach dem benachbarten Königstein, die höchste Kaufkraft in der Bundesrepublik. Ausländer fallen in Kronberg nicht auf. Ein Viertel der Bevölkerung kommt aus aller Welt und ist im Domizil der Reichen und Superreichen doch unter seinesgleichen. Afrikaner, Asiaten, Lateinamerikaner, meist leitende Angestellte aus Handel, Banken und Industrie mit ihren Familien, sind nicht etwa „integriert“, sondern einfach Bestandteil internationaler Diplomatie des Geschäfts- und Geldadels — angefangen bei denen, die ihre Kinder nur „im Mercedes zur Schule fahren“, bis aufwärts zu Abs und Pöhl, die auch hier wohnen.

Die ersten „Gastarbeiter“ waren vor 20 Jahren willkommen und erhielten Organisationshilfe zum Internationalen Club. Die ersten Asylbewerber lebten seit 1990 fast unbemerkt in einer Schule in der Innenstadt, ehe das Container-Lager entstand. Seither führt der „Arbeitskreis Asyl“ einen absurden Kampf um jede Kleinigkeit: für eine Überdachung des Ganges zu Küchen und Toiletten, Telefon, warmes Wasser, Duschen und Möbel. Der private Betreiber kassiert pro Person pro Tag 25 Mark. Verwaltungsrichter besichtigten das Lager und fanden es unzulänglich.

Die Grundstückspreise in Kronberg sind die höchsten der Republik. Marianne Huf, Biologin und „guter Mittelstand“, weiß: „Wir können uns das hier auch nur leisten, weil das Haus der Familie meines Mannes gehört.“ Sie ist eine der wenigen, die sich um die Lebenssituation der Flüchtlinge in Kronberg kümmern. Der Versuch, sie in den Internationalen Club einzubinden, schlug fehl. Die alteingesessenen AusländerInnen machten nicht mit. Huf: „Die stehen ungeheuer unter Druck und haben eine ganz fürchterliche Angst, mit den Asylanten in einen Topf geworfen zu werden und in den Sog des Rassismus zu geraten.“

Daß ausgerechnet das goldene Kronberger Pflaster die 160 Flüchtlinge im Asylbewerberlager an der Le-Lavandou-Straße der kommunalen Gleichgültigkeit anheim gibt, ist ein Nebeneffekt von Weltoffenheit und Reichtum. Sie leben seit über zwei Jahren zusammengepfercht in Containern — jeweils drei Menschen auf 13,4 Quadratmetern. Die Kommunalpolitiker und der zuständige Hochtaunus-Kreis schieben sich die Verantwortlichkeit, eher lässig und uninteressiert als gezielt, immer wieder gegenseitig über den Schreibtisch. Der Plan, feste Billighäuser zu bauen, wird immer wieder aufgeschoben. Ausländer stören nicht im Stadtbild, sind kein kommunalpolitisches Thema — weder im Wahlkampf noch sonst. Aber Grundstücke sind knapp und teuer. „Und deshalb“, stellt Marianne Huf fest, „leben sie noch immer in dem Provisorium, das eigentlich nur sechs Monate dauern sollte.“ Im Lager leben die Männer und die wenigen Frauen, Kinder dürfen hier aus gesundheitlichen Gründen gar nicht erst wohnen, in Enge und Armut zwischen Aggression und Resignation — eingezwängt zwischen dem Straßenrand und dem Zaun zur Gesamtschule. Die Perspektivlosigkeit nimmt zu, die Fluktuation ist hoch, der Lagerkoller wächst. Huf: „Die Privatsphäre ist gleich null.“ Zum vom Arbeitskreis organisierten Deutschunterricht kam zuletzt niemand mehr. Einen Vorteil hat das Dauerprovisorium nur für diejenigen, die Arbeit gefunden haben. Sie können die S-Bahn nach Frankfurt in wenigen Minuten zu Fuß erreichen und sind deshalb nicht so isoliert wie die „hinter der Hecke“ im Hintertaunus.

Rüsselsheim: Wohnungsnot und Aggressionen gegen „Gastarbeiter“

Auch Rüsselsheim, im Süden Frankfurts, ist keine arme Gemeinde. Hier zahlt nicht das gutbetuchte Bürgertum ins Stadtsäckel, sondern die Opel AG. Auch in der Arbeiterstadt sind die Einwohner an Ausländer gewöhnt. Auch hier leben Asylbewerber sowohl in der Innenstadt wie in den ländlicheren Stadtteilen. 14.000 Zugewanderte erarbeiteten in den 60er und 70er Jahren das Wirtschaftswunder mit. Pressereferentin Petra Löhr lobt die Stadt wegen ihrer interkulturellen Feste, Ausstellungen, Seminare, Theaterstücke und Sportturniere. Rüsselsheim installierte einen der ersten Ausländerbeiräte Deutschlands. Und dennoch bahnt sich unterschwellig etwas Unheimliches in der von proletarischer Kleinbürgerlichkeit geprägten Stadt an. „Nicht die Asylanten sind das Problem“, sagt Max Gutknecht vom Pfarramt für Industrie- und Sozialarbeit, „sondern die Ausländer, die hier schon seit über 20 Jahren leben.“ Oder vielmehr nicht sie, sondern die Stimmung, in der mit SPD-Mehrheit in großer Koalition regierten Stadt. Kleine Rangeleien habe es schon gegeben. Aber die Ausländergruppen seien gut organisiert: „Die Rechten trauen sich da nicht ran.“ Er kritisiert, ebenso wie Ausländerbeirat Jänisch, die rigide Abschiebepraxis der Ausländerbehörde und wirft ihr Menschenrechtsverletzungen vor. Für die schleichend zunehmende Ablehnung ausländischer Nachbarn bei Vermietern und Bevölkerung macht er vor allem die steigende Wohnungsnot verantwortlich. Immer mehr Arbeitsemigranten sind, ebenso wie die Deutschen, auf Wohnungssuche — und die wird zunehmend hoffnungslos. Die Stadt habe dieses Problem über Jahre hinweg „verschlafen“. Gutknecht: „Die wollen eben auch nicht mehr mit der Großfamilie in zwei Zimmern wohnen wie früher.“ Vor allem die „zweite Generation“, inzwischen so deutsch wie alle anderen auch, möchte das Elternhaus verlassen. Das verschärft den allgemeinen Mangel. Eigenbedarfsklagen von Vermietern treffen ausländische Familien besonders hart. Sie geraten, so der Ausländerbeirat, „in einen Teufelskreis“ von Wohnungskündigung und Abrutschen zum Sozialhilfesatz. Zwangseinweisungen in teure Hotels mit Rückzahlverpflichtung bringen selbst Besserverdienende an den Bettelstab und erleichtern die Abschiebung bei den Menschen, die zum „Aufbau West“ gut genug waren und in den Rententopf zahlen. Die „schikanöse Praxis der Behörden“, so vermuten Kritiker, solle dem sozialdemokratischen Kommunalwahlkampf dienlich sein, heize aber das Klima auf und sei „ein Spiel mit dem Feuer“ mit Blick auf die Stimmen der Biedermänner in Reihenhäusern und Kleingärten.

Ramersdorf: „Katholiken zeigen ein offenes Herz in der Not“

Ramersdorf, ein Stadtteil im Süden Münchens, liegt gleich an der Autobahn nach Salzburg. Ulrich Chaussy von der Initiative „Gute Nachbarschaft“ nennt ihn den „vergessenen Stadtteil“ ohne „soziale Einrichtungen und Infrastruktur“. Die bessere Wohngegend, das sind die schlichten Einfamilienhäuser, die als Hitlers erste architektonische Mustersiedlung entstanden, nachdem dem vormaligen Bauhaus-Projekt das Geld ausgegangen war. Schlechter wohnt es sich in den mehrstöckigen Blöcken der Neubaugebiete. Der Arbeitskreis gründete sich, als im Frühjahr bekannt wurde, daß ein Container-Lager nach Ramersdorf kommt. Eine Unterschriftensammlung gegen die Flüchtlinge hatte „zuerst spontan Einzelne“ alarmiert. Eine Bürgerversammlung endete mit einem überraschenden Sieg der Vernunft. Die Ramersdorfer sprachen sich nicht mehr grundsätzlich gegen das Lager aus, sondern forderten statt dessen soziale Verträglichkeit innen und außen: eine geringere Belegung, Wach- und Sozialdienst.

Andere (Bundes)Länder, andere Sitten: während in Kronberg bisher der geforderte Wachdienst fehlt, verzichteten die Münchner auf die Sozialarbeit. Chaussy ist auf den Wachdienst trotzdem gut zu sprechen. Sonst in München unbeliebt, habe der hier freiwillig eine Art „von kumpelhafter Lebenshilfe mit Internats-Charakter“ unter den Menschen auch verfeindeter Gruppen aus Krisenregionen auf sich genommen. Das Männerlager mit den zweistöckigen Containern für über 300 Menschen wirkt trotz trister Umgebung — Abstufung des Elends — aufgeräumter, nicht ganz so bedrückend wie im Taunus. Zankapfel zwischen Stadt und Land ist das „Münchner Modell“, das einen Sozialdienst rund um die Uhr vorsieht. Das aber ist dem Land zu teuer. Oberbürgermeister Kronawitter (SPD) wiederum lehnte das Landesangebot zur Übernahme mit Betreuung im Tagesdienst ab. Dazwischen agiert die Initiative. Auch hier wird, wie in Kronberg, jeder kleine Schritt zum mühsamen Behördengerangel. „Gute Nachbarschaft“ kritisiert vor allem die Münchner Methode der Einrichtung von Lagern im „Hauruck- Verfahren“ über die Köpfe der Anwohner hinweg. Das besorgte in Ramersdorf eine weitere örtliche Spezialität: der eigentlich für Katastrophenfälle gegründete „Sonderstab für besondere Ereignisse“ (SBE). Dessen Methoden, fürchten die Ramersdorfer, sollen „den nationalen Notstand suggerieren“ und machen wirkliche Katastrophen erst möglich.

Ulrich Chaussy von der „Guten Nachbarschaft“ hofft, daß den kompromißwilligen Ramersdorfern trotz des Gerangels der Obrigkeit die Geduld nicht ausgeht. Er setzt darauf, „die Stimmung bei den eigenen Leuten zu befrieden“. Den Menschen im Lager, das sieht er inzwischen, „können wir nur sehr wenig helfen“. Er kennt die Ambivalenz des eigenen Gefühls bei Kaffee- und Kuchenfesten: „Das ist denen auch schwer zu vermitteln. Die einen kommen mit Brandbomben, die anderen mit Säften und Müsli.“ In der wöchentlichen „Teestube“ dominieren Schwarzafrikaner. Chaussy: „Die sind sehr fordernd und manchmal auch nicht gerade der sensibelste Widerpart.“ Die Atmosphäre bleibt gespannt. Daran erinnert auch ein Brandanschlag im vergangenen Winter in der Sammelunterkunft Rupertigaustraße. Seinerzeit riefen die Oberhirten der katholischen Kirchen ihre Schäflein in einer gemeinsamen Zeitungsanzeige zur Ordnung, verurteilten „mit aller Entschiedenheit“ und mahnten „Solidarität und Geschwisterlichkeit“ im Stadtteil an. Es scheint, daß das christliche Machtwort — vorerst — Wirkung zeigt. Flüchtlinge in den reichen Gemeinden der Republik — vor allem da, wo die Menschen fest in den katholischen Glauben eingebunden sind — leben statistisch bisher ohnehin am sichersten. Lebensgefährliches Terrain sind vor allem jene Städte und Gemeinden, die zu den protestantischen Habenichtsen zählen. Wolfgang Klug, Leiter der Caritas- Geschäftsstelle in Maria Ramersdorf, sucht dafür eine Erklärung. Seine Landsleute, meint er, „mit einer strammen konservativen Grundausstattung“, die wählen zwar entsprechend, statt Brandsätze zu werfen, „zeigen aber ein offenes Herz für die Not, wenn sie mal hier ist“. Davon will sich sein evangelischer Kollege Gutknecht in Rüsselsheim nicht so ganz überzeugen lassen. Aber beide finden fast die gleichen Worte für die Entwicklung in Deutschland. Gutknecht nennt die Misere „politisch gewollt“ und „verdeckten Faschismus“, Klug fürchtet, daß es den Ausländern gehen könnte „wie den Juden“: „Das ist für mich der größte sozialpolitische Skandal, den es gibt.“

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