■ Ein Fall für die Anwendung von Notstandsrecht
: Quarantäne für die Terrorzentren!

Die Pogrome gegen Asylbewerberheime wie auch gegen die Wohnheime ausländischer Arbeiter im Osten Deutschlands mögen viele Ursachen haben. Noch vor allen soziologischen Erklärungsversuchen scheinen aber zwei Momente im Vordergrund zu stehen. Es ist offensichtlich, daß das kommunistische Regime nur eine ganz dünne Tünche über die nationalsozialistischen Dispositionen gelegt hat. Vom Volk der Täter wurden die Bewohner des „ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates“ quasi per Dekret zum Volk der wackeren Antifaschisten. Heute nimmt offenkundig eine große Mehrheit von Bürgern der ehemaligen DDR die Demokratie vor allem als ein auswärtiges Dienstleistungsunternehmen in Anspruch, das ihnen schnellstmöglich einen schweizerischen Lebensstandard zu liefern habe. Die Vorstellung, Demokratie sei vor allem jener öffentliche Raum, in dem jeder die Chance hat, sich gerade durch die Anerkennung der Verschiedenheit des anderen als (politisches) Subjekt zu erfahren, scheint nur einer verschwindenden Minderheit geläufig. Aber im Grunde ist die Suche nach Ursachen der nationalistischen Explosionen des prügelnden Mobs in der ehemaligen DDR nur in zweiter Linie interessant. Das Wichtigste ist das Faktum selbst: Mit den Pogromen in Ostdeutschland breitet sich ein Bazillus aus, der höchst ansteckend ist.

Wohltaten der Zivilisierung

Man sollte sich keine Illusionen über die Einstellungen auch der Bürger in der Bundesrepublik West machen. Aber im Westen der Republik gibt es kein faktisches Ausgangsverbot für Andersfarbige nach Einbruch der Dunkelheit, die Anschläge auf Asylbewerberheime sind noch Attentate im und aus dem Verborgenen — und keine Massenaktionen im Schutze eines beifallklatschenden Mehrheitsmobs wie zuletzt in Rostock, Quedlinburg oder Wismar. Die Gründe, warum sich die Bundesbürger West trotz aller auch hier ausmachbaren ausländerfeindlichen Einstellungen anders verhalten, liegen nicht, wie man im Umkehrschluß zu den vielen Sozialpädagogen und Sozialarbeitern, die zur Erklärung der Ereignisse in Ostdeutschland bemüht werden, im Wohlstand, sondern vor allem und in erster Linie in den segensreichen und zivilsatorischen Wirkungen von 40 Jahren bundesrepublikanischer Geschichte. Die Leute schämen sich eben, ihre Ausländerfeindlichkeit hemmungslos herauszuposaunen, sie haben gelernt, daß „man das nicht tut“. Nicht zufällig sind es die ehedem auf der Linken und die ziemlich weit rechts Angesiedelten, die je auf ihre Weise diesen markanten Unterschied auslöschen wollen. Viele Linke versäumen es darüber hinaus niemals, darauf hinzuweisen, daß es in den alten Bundesländern ebenso schlimm aussähe. Und in einer beinah schon komischen Volte machen sich die deutschnational Konservativen in den beiden großen Parteien die sozialarbeiterischen Wegrationalisierungen der moralischen Dimensionen des Phänomens (Nach dem Motto: Das ist ja gar kein nationalistischer Fremdenhaß, sondern soziale Wut und Frust) zueigen.

Wie weit in der alten Bundesrepublik die Scham vor offenem Rassismus internalisiert wurde, ist eine andere Frage — und genau das Problem. Denn die formalen Regeln der Höflichkeit und des Umgangs bilden schon für sich einen konstitutiven Bestandteil eines demokratischen Gemeinwesens. Und eben sie sind durch Ansteckungsgefahr gefährdet. Mit jedem erfolgreichen Pogrom gegen Ausländer werden ähnliche Ausschreitungen auch im Westen der Republik möglicher.

Rechtsunsicherheit

In den Ausschreitungen und Übergriffen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wird aber auch deutlich, in welch geringem Maße die Rechtssicherheit als Fundament der Rechtsstaatlichkeit durchgesetzt ist. Der Mangel an Rechtssicherheit öffnet der Korruption, der mafiösen Klientelwirtschaft und dem Faustrecht Tür und Tor. Nach dem Motto: Wenn ich mein Recht nicht kriege, dann nehm' ich's mir halt. Wenn in Cottbus ein Schuldirektor ein Abkommen mit einer rechtsradikalen Partei trifft, um die Schule aus Auseinandersetzungen herauszuhalten; wenn die Polizei in Quedlinburg ihren unterlassenen Schutz einer Mahnwache damit begründet, deren Teilnehmer hätten sich selbstverschuldet in Gefahr begeben — dann sind das Beispiele für die Erosion von Rechtsstaatlichkeit.

Die Laxheit, mit der die ostdeutsche Polizei und Justiz auf die rechtsradikalen Ausschreitungen reagiert, ist nur die Spitze eines ordnungspolitischen Vakuums, das offensichtlich die Ausmaße einer Notstandssituation angenommen hat. Um diese Situation zu bewältigen, bedarf es gar keiner neuen Gesetze. Das Instrumentarium für solche Fälle gibt es bereits. Wie sich die älteren Semester erinnern werden, verabschiedete der Deutsche Bundestag im Mai 1968 — unter großen Protesten der APO — die sogenannten Notstandsgesetze. In einer der Grundgesetzergänzungen (Art. 87a, Abs. 4 des GG) heißt es u.a.: „Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn (...) die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes (...) einsetzen.“ Wann, wenn nicht jetzt, ist dieser Fall gegeben? Es geht darum, wie der sächsische Innenminister richtig sagt, neben und vor allen sozialpolitischen Maßnahmen durch einen „permanenten Verfolgungsdruck“, die hartgesottenen Rechtsradikalen von ihren gedankenlosen Mitläufern zu trennen. Den anfeuernden Bürgern gilt es zu zeigen, daß ihr Verhalten keine harmlose Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit ist, sondern das Unterstützen von Straftaten. Da die einheimische Polizei nicht willens oder nicht in der Lage zu sein scheint, die Sicherheit aller Bürger zu garantieren, gibt es gar keine andere Lösung als Streifen von Bundesgrenzschutz und Bundeswehr an Punkten, wo faschistische Zusammenrottungen zu erwarten sind — und nicht nur vor den Heimen für Asylbewerber. Auch andere Demokratien haben in ihrer Geschichte den Einsatz bewaffneter Einheiten gegen randalierende Antidemokraten unbeschadet überstanden. So z.B. die USA in Little Rock gegen die Ausschreitungen von Gegnern der Rassenintegration.

Was Mao Tse-tung so richtig sagte, gilt auch für den Osten der Republik: Aus einem Funken kann ein Steppenbrand werden. Aus der — beklagenswerten — Geschichte der Demokratie in Deutschland sollte eine Lehre nicht vergessen werden: Eine Demokratie, die den Eindruck erweckt, sie wolle oder könne sich nicht wehren, die ist verloren. Denn der Verzicht auf Gegenwehr macht letzten Endes auch diejenigen handlungsunfähig, die sich wehren wollen, weil die Bruchlinien des Konflikts verschleiert werden. Eine zeitlich begrenzte Quarantäne über die demokratischen Notstandsgebiete in der DDR würde die Ansteckungsgefahr im Westen zumindest mindern; und vor allem jenen Bürgern der DDR die Chance zum Agieren eröffnen, die bisher unter dem faktischen Gewaltmonopol der Baseballschläger kaum eine Chance dazu hatten. Ulrich Hausmann