Götterbote abgestürzt: Hermes wird begraben

■ Raumgleiter ist nicht finanzierbar/ Abgespecktes ESA-Programm geplant

Bonn (dpa/taz) — Der deutsch- französische Raumgleiter „Hermes“ wird nie fliegen: Forschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) wird den europäischen Forschungsministern noch im November das Ende des Prestigeprojekts verkünden. Die über 8 Milliarden Mark teure Raumfähre, so Riesenhuber gestern in Bonn, sei weder bemannt noch unbemannt finanzierbar. Die europäische Raumfahrtorganisation ESA werde sich mit einem abgespeckten Raumfahrtprogramm bis 1995 zufriedengeben müssen.

Statt dessen soll in den nächsten drei Jahren in Zusammenarbeit mit Rußland, Japan und den USA nach technologischen Alternativen gesucht werden. Hierzu könnten ein automatisch arbeitendes Transferfahrzeug ebenso gehören wie ein Rettungstransporter oder die Nutzung des deutschen Hyperschallprojekts „Sänger“, bei dem allerdings Umweltprobleme bestehen. Riesenhuber ließ erneut anklingen, daß er an der Nutzung russischer Raumfahrttechnik interessiert ist.

Riesenhuber kommt mit seiner neuen Politik einer Empfehlung der quasi amtlichen Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (DARA) nach. Die Gesellschaft, eine hundertprozentige Tochter des Bundes, hatte schon Ende Mai vorgeschlagen, auf das Ziel einer westeuropäischen Autonomie in der Raumfahrt zu verzichten. Schon Ende 1990 war die Deutsche Physikalische Gesellschaft, der Berufsverband der Physiker, in einer vielbeachteten Entschließung zu dem Urteil gekommen, daß ein „wissenschaftlicher oder ökonomischer Nutzen, der die hohen Kosten der bemannten Raumfahrt rechtfertigen würde, bislang nicht auszumachen“ ist.

Die Bundesregierung will bis 1995 insgesamt 5,1 Milliarden Mark für ESA-Projekte bereitstellen — das sind nur noch 65 Prozent dessen, was ursprünglich für europäische Raumfahrtvorhaben anvisiert wurde. Bis zum Jahr 2000 beträgt der finanzielle Umfang nur noch 75 Prozent der 1987 vereinbarten Vorhaben.

Bestehenbleiben wird das wissenschaftliche Programm „Horizont 2000“, zu dem vor allem Untersuchungen des Sonnensystems und des fernen Weltraums gehören. Bestandteil sind unter anderem die mit Rußland vorgesehenen Mars-Missionen 1994. Eindeutig Vorrang erhält die Erdbeobachtung im Umweltinteresse. Der entsprechende Forschungssatellit „Envisat-1“ soll 1998 zum ersten Flug starten. Einbezogen wird auch die sogenannte polare Plattform, die ursprünglich zu den „Columbus-“Projekten gehörte und jetzt nur noch in verkleinerter Form gebaut werden soll.

Offen ist, ob nach den US-Wahlen die Amerikaner weiterhin an ihrer Weltraumstation „Freedom“ festhalten, zu der das europäische Labor Columbus gehören soll, das an die Station fest angedockt wird. Dagegen verzichten Deutschland und Italien auf ihr Projekt eines frei fliegenden Labors im Rahmen des Columbus-Programms.

Riesenhuber schloß negative Auswirkungen auf die deutsche Raumfahrtindustrie nicht aus, meinte aber, daß „per Saldo“ Arbeitsplätze nicht verlorenzugehen bräuchten, da die deutschen Unternehmen wie Dornier verstärkt bei Vorhaben der Erdbeobachtung einsteigen könnten. ten