„Feiern fehl am Platz“

■ Interview mit Manfred Messerschmidt

taz: Herr Messerschmidt, Sie waren leitender Historiker beim militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg. Halten Sie es für angemessen, zum 50. Jahrestag des ersten Abschußes einer V2 eine Feier abzuhalten?

Messerschmidt: Feiern sind völlig fehl am Platz. Da sind offenbar Leute beteiligt, die sich lediglich von der Technik faszinieren lassen und das ganze historische Umfeld in Vergessenheit bringen wollen.

Kann man die Raketentechnik von der Produktionsgeschichte und ihrem Einsatz trennen?

Nein, auf gar keinen Fall. Es war den Leuten in Peenemünde vor 50 Jahren bewußt, was im KZ Dora geschah, wo Tausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge die Rakete produzierten. Es war ihnen möglicherweise bekannt, daß Himmler sich durchgesetzt hatte, daß man die Produktion am besten durch KZ-Häftlinge mache, weil dann die Sicherheit gewährleistet bliebe. Es war also klar, wo und wie das produziert wird. Es war ebenso klar, daß die V2 nicht zielen konnte: Sie traf unterschiedslos militärische und nichtmilitärische Ziele . Man weiß, daß allein in England von den etwas mehr als 1.000 V2, die dort einschlugen, ungefähr 2.700 Tote festgestellt wurden, dazu 6.500 Schwerverletzte. Später ist die V2 dann noch gegen belgische Städte eingesetzt worden. Es war eine Waffe, die dem Völkerrecht Hohn sprach.

Können Sie sich erklären, wieso die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie heute auf die Idee kommt, das Datum des ersten V2-Abschusses so zu würdigen?

Diese ehemaligen Peenemünder sind meist Ingenieurwissenschaftler. Die berauschen sich an den alten Plänen und an der führenden Rolle, die sie damals hatten. Das andere blenden sie einfach aus. Das ist ähnlich wie bei den Militärs, wo die Generäle der Wehrmacht ihre militärischen Leistungen immer nach vorne stellen und die Frage, wofür sie das in Rußland, Polen und auf dem Balkan getan haben, gern übergehen.

Der parlamentarische Staatssekretär Erich Riedl hat seine Teilnahme an der Veranstaltung in Peenemünde auf Druck von Wirtschaftsminister Möllemann jetzt abgesagt. Reicht das aus?

Ich würde einen Rücktritt Riedls als vernünftig ansehen. Denn wenn sich da sogar Regierungsmitglieder mit einlassen und das unterstützen, dann ist das ein bedenkliches Zeichen. Interview: Klaus Hillenbrand