Iliescu siegt bei Wahlen in Rumänien

■ Die Regierungsbildung wird dank der zersplitterten Parteienlandschaft kompliziert werden

Bukarest (taz) — Ion Iliescu wird der starke Mann Rumäniens bleiben. Er erhielt nach den ersten Hochrechnungen bei den Präsidentschaftswahlen 46,4 Prozent der Stimmen und rechnet damit, daß er bei den Stichwahlen am 11. Oktober die absolute Mehrheit erreichen wird. Die Stimmenauszählung wurde im Fernsehen übertragen. Wer über genug Sitzfleisch verfügte, konnte sich seit Sonntag rund um die Uhr berieseln lassen. Mit vorläufigen Hochrechnungen, politischen Einschätzungen, Prominentengesprächen. Viel wußte man danach auch noch nicht, aber man wurde angenehm unterhalten. Denn erstmals wurde in Rumänien, in einer „Art westlichen Abklatsches“, so das Oppositionsblatt Romania libera, Wahlkampf live auf der Mattscheibe präsentiert. Vorläufige Hochrechnung aus dem mit deutscher Hilfe eingerichteten Computerzentrum, Stand Montag nachmittag, 15 Uhr Bukarester Zeit: Ion Iliescu erreichte 46,4 Prozent der Wählerstimmen für das Amt des Staatspräsidenten, sein wichtigster Herausforderer Emil Constantinescu, Führer der „Demokratischen Konvention“, dagegen nur 31,3 Prozent, gefolgt von dem Rechtsextremisten Gherghe Funar mit 11,2 Prozent.

Die Stimmenverhältnisse bei den Ergebnissen der einzelnen Parteien schwankten dagegen von Stunde zu Stunde um bis zu sechs Prozentpunkte. Nur eines zeigte sich: Keine der über zweihundert rumänischen Parteien erreichte ein so überragendes Ergebnis, daß sie ohne eine Mehrparteienkoalition die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte. Stärkste Partei wurde die regierende „Demokratische Front der nationalen Rettung“ mit 26,2 Prozent der Stimmen, gefolgt mit 20,4 Prozent von der „Demokratischen Konvention“, ein Sammelsurium von 17 Parteien unter Emil Constantinescu. Danach folgte die „Front der nationalen Rettung“ mit 10,1 Prozent, der „Demokratische Verband der Ungarn“ mit 9,8 Prozent, die rechtsextreme „Partei der nationalen Einheit Rumäniens“ mit 8,1 Prozent und die „Partei Großrumäniens“ mit 4,0 Prozent. Alle anderen Parteien blieben unter drei Prozent, zusammengenommen jedoch haben sie wiederum über zehn Prozent der Wählerstimmen.

Vor diesem Hintergrund sind zahllose Möglichkeiten von Koalitionen denkbar. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, so konnte man es zumindest in den ersten Stellungnahmen über die elektronischen Medien heraushören, daß sich Ion Iliescu dafür einsetzen wird, daß die beiden „Fronten der nationalen Rettung“, deren Spaltung erst Anfang des Jahres zwischen Iliescu und Petre Roman vollzogen wurde, sich wieder zusammenschließen, möglicherweise mit den rechtsextremen Parteien oder mit einer Handvoll Kleinstparteien, deren Führer nach wie vor im Verdacht stehen, Pseudoprodukte der Front zu sein, wie beispielsweise die „Ökologische Bewegung“ und die „Grüne Partei“. Böse Stimmen behaupten, daß die ehemalige Securitate sie ins Leben gerufen habe.

Obwohl auch Constantinescu rein rechnerisch gesehen eine sehr breite Koalition anstreben könnte, konnte man gestern dazu aus Oppositionskreisen nichts vernehmen. Zwei Gründe sprechen gegen eine Machtübernahme der oppositionellen „Demokratischen Konvention“. Zum einen würde Iliescu als Präsident dies mit seiner Macht zu verhindern wissen, zum andern könnte dabei die Konvention an inneren Spannungen auseinanderbrechen. Stützte sich Constantinescu auf die Partei der Ungarn, so hätte er eine massive Front von Nationalisten gegen sich, näherte er sich den extremen Nationalisten, würden liberale Parteien aus dem Konvent ausscheiden. Jede neue rumänische Regierung wird deshalb auf äußerst schwachen Füßen stehen. Der Bukarester Lokalsender „Radio Fun“ lästerte: „Es wird spannend werden in Rumänien — und es wird sich doch nichts verändern.“ Ob der Ratschlag des Senders jedoch befolgt wird, die Politik einfach zu vergessen und „sich voll auf Michael Jackson einzustimmen“, wird sich zeigen. Der gastiert nächste Woche erstmals in Bukarest. Eine neue Regierung wird in jedem Fall länger auf sich warten lassen. Roland Hofwiler

Siehe auch Seiten 9 und 10