Nachschlag

■ Schwabenoffensive im Mehringhof

Immer wenn er in den Keller geht, um sich aufzuhängen, läßt der Schwabe Eberhard Beutel kurz die Vergangenheit Revue passieren. Dabei hilft ihm sein intimes Tagebuch, in dem zwar »net elles« steht, aber doch das Wichtigste: »7. März: In den Keller gegangen. Sonst keine besonderen Vorkommnisse.« Zwar ist sein Hanfstrick made in Schwaben und von prima Qualität, aber Auge in Auge mit der Ewigkeit entscheidet sich Eberhard trotzdem immer wieder für das Leben. Schließlich kennt nur er die 56.000 Teile im Daimler-Ersatzteillager beim Vornamen, und übermorgen muß der Jahreswagen zur Inspektion.

In ihrem dritten Stück »Halt dei Gosch ond sing!« sucht die Schwaben-Offensive eine Antwort auf die alte Frage, warum so viele schwäbische Menschen als Knoten in den Himmel kommen. Von den vier Mitgliedern der 1988 gegründeten Truppe sind diesmal nur Susanne Scholl und Albrecht Metzger dabei — als Ehepaar Beutel. Im täglichen Kleinkrieg rund um den blitzeblanken Küchentisch führen sie eindrucksvoll die alte Weisheit vor, daß alte Ehepaare wie zwei Chirurgen sind, die so lange aneinander herumoperiert haben, bis sie wissen, wo es am wehesten tut. Verwundbare Traudele Beutel! Das Eingekochte wird nicht fest, der spanische Liebhaber mit den schönen Popobacken ist für immer verloren, und Eberhard will seit siebzehn Jahren jeden Abend Wurschtsalat — wo sie sich doch Kochen »ganz bewuscht als Hobbei« ausgesucht hat. Und wenn ihr mal »schmusig« zumute ist, reagiert Eberhard meist nur entgeistert: »Was, schon vor dem Essen?«. Da hilft es wenig, daß ihre Betonfrisur und ihre altrosa Seidenbluse selbst gegen eine Dusche aus Schwartenmagen-Stücken gefeit sind. Zwischen Quittengelee und Rumtöpfen stapeln sich Traudeles Abschiedsbriefe, aber den Absprung schafft sie trotzdem nie.

Weil das Stück auf ein kurzes Vorspiel im Himmel nicht verzichten will, sind zwei Engel bis zum letzten Gefecht der Beutels dabei. Ihr Job ist eigentlich die akribische Buchführung über die Äußerungen der schwäbischen Seele, aber die meiste Zeit machen Stefan Hiss und Tobias Metzger Musik — Blues natürlich, denn schwäbisches Blut fließt träge wie der Mississippi. Allerdings sind die musikalischen Einlagen oft etwas zu lang, die Kabbeleien, die der Gitarrist und der Akkordeon-Spieler mit der Fliegenklatsche austragen, ein wenig zu albern und die Handlungen der Engel ziemlich dünn. Nur am Schluß greifen sie durch Voodoo-Zauber in das Leben von Traude und Eberhard Beutels Leben ein.

Daß das Stück mehr bietet als die doch schon recht vertraute Komik rund um die heiligsten Güter des Schwaben — den Bausparvertrag und den Kassierer-Posten im Gesangsverein —, liegt aber nicht an diesen surrealen Elementen, sondern an der plastischen Darstellung der Unfreiheit und Vergeblichkeit der Beutelschen Existenzen. Traudes Fluchtversuche zu ihrer Freundin nach Melbourne sind dazu verdammt, knapp hinter dem Regal mit dem Quittengelee zu enden. Und auch Eberhard zieht den schwäbischen Dickkopf immer noch rechtzeitig aus der Schlinge. Die Ursache für die Knotenbildung der schwäbischen Seele erkennen die ahnungsvollen Engel schließlich im Widerspruch zwischen den äußeren Umständen und der inneren Befindlichkeit — und ziehen den Schluß: »Dafür kann der Schwabe nichts.« Miriam Hoffmeyer

Bis zum 11. Oktober, Mi. bis So., 21 Uhr im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg