piwik no script img

Keine Einheit zum Tag der Einheit

■ Alle rufen zu Demos gegen Rassismus auf — doch eine gemeinsame Kundgebung gibt es nicht

Berlin (taz) — Zu Aktionen gegen Rassismus und Antisemitismus rufen sie alle auf: Grüne, Gewerkschaften, SPD und auch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Doch eine gemeinsame Demonstration aller linken und liberalen Kräfte wird es am kommenden Wochenende nicht geben. SPD und Gewerkschaften mobilisieren für den Freitag in Frankfurt am Main zum Protest gegen Fremdenfeindlichkeit. Grüne und antirassistische Initiativen demonstrieren am Samstag.

Süssmuth rief alle Deutschen auf, „den Tag der deutschen Einheit zu einer eindrucksvollen Demonstration gegen Ausländerhaß, gegen Rassismus und gegen den perfiden Ungeist des Antisemitismus zu machen“. Jetzt reiche es nicht mehr aus, „seine Empörung und seine Scham und Trauer“ über antisemitisch motivierte Gewalttaten zum Ausdruck zu bringen, erklärte die Parlamentspräsidentin in Bonn. „Gefordert ist jetzt von uns allen ein Zeichen dafür, daß wir nicht mehr bereit sind, tatenlos diesem Unwesen zuzuschauen.“ Der DGB verlangte die Gründung einer Bürgerkoalition gegen Fremdenfeindlichkeit. Der SPD-Parteirat rief zu einem Bündnis aller gesellschaftlichen Gruppen gegen Haß und Gewalt auf. Das „anständige Deutschland“ müsse jetzt Flagge zeigen.

Politiker in Regierung und Opposition kündigten gestern als Reaktion auf den Brandanschlag in dem ehemaligen KZ eine härtere Gangart gegen Rechtsextremismus an. Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) rief bei einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zur Verteidigung der Demokratie gegen den Rechtsradikalismus auf. „Die Demokratie muß zeigen, daß sie wehrhaft ist“, sagte er. Kinkel zeigte sich zugleich besorgt über das Bild Deutschlands in der Welt.

Innenminister Seiters kündigte ein schärferes Vorgehen gegen rechtsradikale Ausschreitungen an. In einem Brief an den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, erklärte er, er werde im Rahmen seiner Zuständigkeiten alles tun, um solche Straf- und Gewalttaten zu verhindern. Jürgen Rüttgers von der CDU-Bundestagsfraktion bezeichnete die Gewaltwelle gegen Ausländer als „Kriegserklärung an den inneren Frieden in unserem Land“. Sie bedrohe die Sicherheit aller Bürger. Die Innenminister von Bund und Ländern wollen sich am 9. Oktober wegen der rechtsradikalen Ausschreitungen zu einer Sonderkonferenz treffen.

Ignatz Bubis forderte ein „schärferes Vorgehen gegen Straftäter“. Wenn militante Ausländerfeinde freigelassen und Asylbewerberheime nach Angriffen geräumt würden, sei dies eine Ermunterung für Anschläge. Er kritisierte, daß die Öffentlichkeit nicht schon nach Hoyerswerda angemessen reagiert habe. Brandenburgs Justizminister Hans Otto Bräutigam befürchtet einen „Flächenbrand“ weiterer rechtsextremer Gewalttaten. Der Brandanschlag auf die „Jüdische Baracke“ im KZ Sachsenhausen Ende vergangener Woche habe einen eindeutig antisemitischen Hintergrund, sagte er.

Der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald hat die thüringische Landesregierung um eine stärkere Polizeipräsenz gebeten. klh

Siehe auch Seite 3

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen