Pferdestall für Schülerladen gesucht

■ Explodierende Gewerbemieten in Kreuzberg zerstören soziale Infrastruktur/ Senat soll Verantwortung übernehmen

Kreuzberg. Seit zehn Jahren besteht der Schülerladen in der Görlitzer Straße. 36 jugoslawische, deutsche und türkische Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren werden hier von einem deutsch- türkischen ErzieherInnen-Team betreut. »Mit unserem Konzept wollen wir gegenseitiges Verständnis fördern und Vorurteile abbauen«, sagt der Erzieher Sentürk Akyol. »Gerade wegen der Ausländerfeindlichkeit ist die interkulturelle Arbeit wichtig.« Der Schülerladen ist auch Beratungsstelle für die Eltern. Ehemals betreute Jugendliche wird bei Hausaufgaben geholfen, der Laden unterhält auch enge Kontakte zur benachbarten Grundschule.

Doch nun droht das Aus: Die neuen Vermieter kündigten den auf zehn Jahre befristeten Mietvertrag »fristgerecht und ohne Angabe von Gründen« und erklärten gegenüber der taz unumwunden, dort Geld verdienen zu wollen.

Steigende Gewerbemieten gefährden überall in Kreuzberg soziale und kulturelle Projekte. Das Rote Kreuz, das Immigrantinnenprojekt »Akarsu«, die Initiative »Alternative Freizeit« oder die Künstlerschule sind nur Beispiele dafür. Laut einer Sozialstudie des Vereins SO36 sind seit 1989 ein Drittel der sozialen Einrichtungen von neuen Mietverhandlungen betroffen, bis 1993 wird ein weiteres Drittel hinzukommen, und bis 1996 werden nahezu alle betroffen sein. In den letzen zwei Jahren haben 50 Kindertagesstätten Kündigungen erhalten. Dagegen stehen auf den Wartelisten für Kindertagesstätten 3.500 Kinder, für die es weder Räume noch Geld gibt.

Angesichts der Zerstörung der gewachsenen sozialen und kulturellen Infrastruktur sei nun der Senat gefragt, so der Vorsteher der Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung, Jörg Becker (SPD). Geld zähle dabei nicht als Argument. Die Mittel, die nachher zur Bekämpfung der Jugendkriminalität ausgegeben werden müßten, stünden in keiner Relation zu dem, was jetzt und hier geschehen könnte. Während der Bezirk nur punktuell handeln könne, seien Reformen auf Landesebene notwendig. So könnte die finanzielle Förderung von Wohnungsbauten davon abhängig gemacht werden, wieviel Gewerberaum zu erschwinglichen Preisen an soziale Projekte vergeben werde.

Die beiden Gruppen des Schülerladens in der Görlitzer Straße können ab Januar jeweils vorübergehende Notquartiere beziehen, was der Laden schon personell nicht verkraftet. Eine Alternative wäre ein Umzug in den ehemaligen Pferdestall in der Wrangelstraße 84, für den bereits ein Nutzungskonzept als multikulturelle Kindertagesstätte vorliegt. Die Instandsetzung das Gebäudes würde etwa zwei Jahre dauern und zwei Millionen Mark kosten. Da der Senat jegliche Mittel verweigere, habe der Bezirk den Umbau in seine Finanzplanung aufgenommen, sagt Jugendstadtrat Helmut Borchardt (SPD). Die Arbeiten könnten auf diese Weise frühestens 1996 beginnen. Dann wäre es für den Schülerladen zu spät. cor