Patient Michael

Cindy Shermans neue Fotoarbeiten  ■ Von Brigitte Werneburg

Über Cindy Shermans neuestes Fotografie-Werk — nach New York und Los Angeles jetzt in Köln zu sehen — sagte die amerikanische Kritik: „Die Bilder sind fürchterlich anzuschauen, und dennoch sind sie unwiderstehlich.“

Und tatsächlich: die Bilder sind fürchterlich anzuschauen, zeigen sie doch Pornographie. Zeigen sie doch Sex als Terrormaschine, als schiere Brutalität. Und zeigen sie ein weiteres Mal, daß die Auseinandersetzung um die Pornographie nicht so einfach ad acta gelegt sein will. Weil etwa eine Frau wie Cindy Sherman dazu eine neue, irritierende, vielleicht eben „unwiderstehliche“ künstlerische Aussage zu formulieren willens ist.

Bildlich hält sich Cindy Sherman diesmal heraus. Die Spottgeburten pornographischer Phantasiearbeit sind Puppen; an den unmöglichsten Stellen durchlöchert sind sie Wracks. Das Foto einer höllischen Olympia, auf einem Bett aus Perücken gebettet, zeigt das faltige Gummimaskengesicht einer alten Frau, das ein hohles Brust-Bauchteil krönt. Darunter placiert Sherman eine beinlose Hüfte mit überpräsenter roter Vagina, aus der Würste quellen.

Die Phantasiearbeit leistet aber nicht die Künstlerin allein. Einschlägige Pornohefte liefern ihr die Muster, nach denen der „Patient Michael“, eine lebensgroße Puppe, die Sherman per Katalog von einem Hersteller medizinischen Unterrichtsmaterials bezog, in sexuell eindeutige Posen gerückt wird. Bravourös führt Sherman den pornographischen Blick vor, der den Körper nur ausschnitthaft, nur zerstückelt kennt — nicht unähnlich der Schulmedizin, die damit ihr idealer Zulieferer ist.

Die groteske Skulptur eines männlichen und weiblichen Unterkörpers, Bauchnabel an Bauchnabel verbunden, weckt Erinnerungen an Hans Bellmers surrealistische „Puppe“ aus den dreißiger Jahren. Perfekt ausgeleuchtet zeigt die Fotografie „seinen“ Penis mit heruntergerolltem Präservativ, während aus „ihrer“ Vagina der Faden eines Tampons hängt. Solche von ihr inszenierten Details wie die Tatsache, daß die Kunstkörperteile vom Hersteller mit größtmöglicher Authentizität gearbeitet wurden — mit Kunsthaut überzogen —, machen die Fotografien tatsächlich ebenso faszinierend wie schockierend.

In einem Interview mit der L.A. Times im Juni sah Sherman ihr neues Werk auch als Antwort auf Jeff Koons süßlichen Pornokitsch, der aus unerfindlichen Gründen für weltweites Aufsehen gesorgt hat. Vor allem aber als ihre Antwort auf die Zensur, die derzeit in Amerika gegen weniger bekannte Künstler ausgeübt wird, so sie sexuelle Themen behandeln und auf öffentliche Gelder angewiesen sind. „Kein National Endowment for the Arts (NEA) kann mir die finanzielle Unterstützung kündigen, weil ich keine habe. Daß meine Arbeiten nicht ausgestellt werden, ist das Schlimmste, was mir passieren kann. Aber ich will mir das leisten, eine Fotoserie zu machen, die niemand kauft, niemand zeigt und niemand mag.“

Shermans Puppen — Bellmers misogyne Verdrehungen wie Koons heroisch-fröhlichen Sexdarsteller hinter sich lassend — verletzten durch einen bösen Hauch von Sentimentalität und sarkastischem Humor. Michael mit den austauschbaren Geschlechtsteilen kann mit Puppe, Haarbürste und verschrecktem Kinderblick als geschundenes pubertäres Mädchen irritieren, oder im „Untitled 256“ in der einschlägig beliebten sadomasochistischen Figur des Henkers mit schwarzer Kapuze und Beil posieren. Wenn er aber mit erigiertem Schwanz und gespreizten Beinen hilflos auf dem Rücken liegt, illustriert das merkwürdig gynäkologische Foto mit bösartiger Deutlichkeit die Freudsche Saga von Kastrationsangst und Fetischismus. Im „Untitled 251“ umgibt ein zerfetztes Kondom den Schwanz, aus dem sich ein stählernes Ejakulat in Form eines Dorns ergießt. Unwiderstehlich?

Daß Shermans Arbeiten faszinieren, ist die größere Gefahr, als daß sie nicht gezeigt werden. Denn ein merkwürdiger Umgang mit Cindy Sherman ist zu beobachten: Man(n) ist außerordentlich bemüht, sie aus dem „Abseits“ feministischer Lesart zu holen, wo sie ihre erste kritische Resonanz fand. Verharmlosung und Vergleichgültigung ihrer subversiven Sichtweisen ist gemeint.

Cindy Shermans berühmte „Film Stills“ (1977-1980), die das Thema „Frau-als-Abbild“ untersuchten, werden dann in „Bilder von Frauen“ uminterpretiert, und es erstaunte nicht, wenn Kritikerlob klang, als würde es um Helmut Newton gehen: „Ich stelle fest, daß ich interessanterweise — ohne es zu wissen — immer ganz automatisch davon ausgehe, daß der Photograph der „Film Stills“ ein Mann war. Und zwar als Mann. Und ich finde diese Bilder anrührend, bezaubernd, ja manchmal geradezu glühend erotisch: Jedesmal verliebe ich mich neu in die ängstliche Blondine auf der nächtlichen Straße“, so der New Yorker Village Voice-Kritiker Peter Schjeldahl, in dem diese Empfindung „den (männlichen) Wunsch, zu vergewaltigen und/oder zu beschützen weckt“.

Cindy Sherman und ihre Arbeit zu vergewaltigen und zu beschützen, dieser Perversion wird auch in ihren Büchern im Schirmer-Mosel Verlag in München gehuldigt. Beides fällt in eins, wenn Differenz und Partikularität verleugnet werden. Dann, aber erst dann läßt sich von der „bedeutenden Künstlerin Cindy Sherman“ sprechen, wie es Arthur C. Danto in seiner Einleitung zu „Untitled Film Stills: Cindy Sherman“ tut. Seine Strategie, eine entschieden weibliche Sichtweise, wenn schon nicht gleich in eine männliche, so doch in eine allgemein menschliche (und damit doch männliche) umzubiegen, betreibt die Zwangsversöhnung des Widerstreits: „Das ,Still‘ hat ihr den Zugang ins allgemeine Kulturbewußtsein geöffnet und die Unterschiede zwischen ihrer Person und der unseren ausgelöscht, zwischen ihrem eigenen Ich und dem Ich in der Gruppe.“ Wenn Shermans Pornographie-Werk des Jahres 1992 etwas nicht tut, dann das. Wenn Sherman auf etwas beharrt, dann, daß diese Fotofolge ihrer eigenen künstlerischen Anmaßung entspringt. Ihr gelingt es, das klischeehaft hochgereckte Hinterteil einer Puppe in eine Anklage gegen Kinderpornographie umzukrempeln — und gleichzeitig dem NEA das Recht auf Zensur zu bestreiten. Ihr gelingt es, den männlichen Zugriff, der all den pornographischen Mustern, die sie benutzt, zugrunde liegt, radikal auszutreiben. Entmannt tritt das Groteske dieser industriell gelieferten Zurichtungen zutage. Die unverschämte Andersartigkeit ihrer pornographischen Fotoarbeiten ist bis 31. 10. in Köln, Galerie Monika Sprüth, in Augenschein zu nehmen.