: Franz Kafka, ein Steppenwolf
Steven Soderbergh hat Kafka gesucht und Hermann Hesse gefunden ■ Von Mariam Niroumand
Über den verwinkelten Gassen, den schmiedeeisernen Toren, den gotischen Türmchen und den düsteren Hauseingängen von Soderberghs Prag thront dräuend das Schloß, in das der Landvermesser K. nie eingelassen wurde. „Schlösser sehen aus der Ferne geheimnisvoll aus“, sagt ein Steinmetz zu Kafka, „aber wenn man genauer hinsieht, sind sie ziemlich häßlich.“ Ach nee!
Was bei Kafka, dem Schriftsteller, nie ganz auflösbare Metapher war, wird bei Soderbergh, dem Regisseur, flugs in eine Art expressionistisches Disneyland transformiert. Meist in elegantem Schwarzweiß gehalten, soll man — wie in Woody Allens „Schatten und Nebel“ — an „Dritter Mann“ und „Nosferatu“ erinnert werden. Es fallen einem aber eher amerikanische Schreckensvisionen von der Moderne ein. So birgt das überhaupt nicht geheimnisvolle Schloß eine Gehirnwaschanlage, die an Stanley Kubricks „Uhrwerk Orange“ erinnert, während der drangsalierte Autor und die Buchstaben spuckenden Schreibmaschinen eher „Barton Fink“ ins Gedächtnis rufen. Mit dessen Hohlköpfigkeit hat „Kafka“ denn auch viel mehr gemein als mit der subtilen Verfilmung schriftstellerischer Imagination in „Naked Lunch“. Die Story (warum braucht ein Film über Kafka eine „Story“?) wird eingerahmt von einem Brief an Vater Kafka, damit wir auch ja nicht vergessen, daß Ödipus-Schnödipus ein Motor von Kafkas Kunstproduktion war. Kafka (gespielt vom unfehlbar eleganten Jeremy Irons) ist ein dünnlippiger Versicherungsangestellter, der bei Tag tippt und bei Nacht schreibt. Sein Arbeitsplatz, eine riesige Halle voller schnatternder Schreibmaschinen, gleicht eher einer Fließbandfabrik als einem Büro. Die Welt ist voller Monster: ein omnipräsenter Bürospion (dem Diabolo vom Dienst, Noel Grey aus „Cabaret“), ein undurchsichtiger Chef (niemand Geringerer als Sir Alec Guiness), ein gedungener Mörder mit leprösem Gesicht, der wie ein Affe schreit, wenn er jemanden in den dunklen Gassen überfällt, und ein sinistrer Anarchistenklüngel mit Femme Fatale (Theresa Russell).
Eines Tages wird Kafkas Freund Raban aus der Moldau gefischt, und die Anarchisten, die an einen Polizeimord glauben, wollen, daß Kafka sich auf ihre Seite schlägt, indem er für sie schreibt. Weil er aber so ein „einsamer Wolf“ ist, wie sein Chef einmal kritisch anmerkt, kann er das nicht und zieht lieber auf eigene Faust los. Ein Grabstein auf dem jüdischen Friedhof verbirgt einen Geheimgang zum Schloß...
Während Kafka als Autor ständig denunziert wird („Woran arbeiten Sie gerade, Herr Kafka?“ — „Och, so eine kleine Geschichte über einen Mann, der eines Tages aufwacht und sich in ein gigantisches Insekt verwandelt...“ Schallendes Gelächter...), wird er zum Ende hin als Antiheld aufgebaut. Er klettert über Dächer, schüttelt geschickt Verfolger ab, trickst Bürokraten aus und rettet zum Schluß noch einen Freund. Ein gewisser Dr. Murnau (!) serviert ihm und uns, im Inneren des Brainwash- Castle, die Moral von der Geschicht': „Sie, Kafka, verachten die Moderne, aber Sie sind die Moderne!“ Natürlich fragt man sich, wie jemand von „Sex, Lies and Videotape“, Soderberghs in Cannes gekröntem Erstlingswerk, zu solch einem Wagnis cum Flop wie „Kafka“ kommt. Daß man dem Film so etwas wie einen Standpunkt unterstellen könnte, wäre zuviel gesagt, doch läßt sich ein gewisses antimodernes Sentiment ausmachen: der Eingang der Technik in die privaten Beziehungen, die ewig bejammerte Macht der Medien, die einsamen, insgeheim romantischen Helden, die an der Liebe nur durch die Verworfenheit der Frauen scheitern; die geplagte Wahrheitssuche, das Bild von der Großstadt als Einöde, als Wildnis.
Nicht, daß die innere Zerrissenheit des Fin de siecle kein Thema für Kafka gewesen wäre; die Erschütterungen des gemütlich im Biedermeier ruhenden bürgerlichen Subjekts durch die grimmigen Erkenntnisse der Psychoanalyse, durch die rasende Mechanisierung, die Massendemokratien und die neue Physik, in der man seine splendid isolation einbüßte— das alles findet bei Kafka sein Echo. Wenn man so etwas aber überhaupt filmisch umsetzen will, muß man es wohl so ähnlich machen wie Straub-Huillet in ihrem Kafka-Film „Amerika“, einer modernen Pikareske, die einem jede Minute versichert: Der Film kann den Text nicht zeigen...
Kafka hat tatsächlich kurzfristig einmal mit tschechischen Anarchisten sympathisiert; er hat tatsächlich ein Doppelleben geführt. Aber jeder Versuch, all dieses eins zu eins abbilden zu wollen, muß an seiner eigenen Unberührtheit scheitern.
Steven Soderbergh: „Kafka“, mit Jeremy Irons, Theresa Russell, Armin Mueller-Stahl, Alec Guiness u.a.; USA 1992; 98 Min.
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