■ Ozonloch schlägt Bruttosozialprodukt um Längen
: (Un)Gesundes Wachstum

Höher, schneller, weiter. Alles wächst, und das Ozonloch wächst mit. Die heiligen Gesetze des Marktes, die ein gesundes Wachstum verlangen, sind auch die Gesetze der Umwelt, die dieses Wachstum mit mehr Müll, mehr Strahlen, mehr Treibhausgasen, mehr Gift, mehr Smog und mehr Ozonloch fortsetzen. Doch während die Bundesrepublik in diesem Jahr beim Bruttosozialprodukt nur noch ein einziges Prozentpünktchen zulegen kann, schafft das Ozonloch spielend 15 Prozent. Das ist eigentlich logisch. Denn das Ozonloch hat einen großen Nachholbedarf. Das Wirtschaftswachstum der 70er und 80er Jahre produziert jetzt das Ozonloch-Wachstum 1992.

Die neuen alarmierenden Zahlen der NASA über das stark vergrößerte Ozonloch zeigen sehr schön die Ungleichzeitigkeit des Klimaprozesses. Während weltweit der Ausstieg aus dem Ozonkiller FCKW nach Jahren der Ignoranz endlich in Gang gekommen ist und sich selbst bei hartbeinigen Umweltpessimisten ein Schuß Optimismus breitmacht, reagiert das Ozonloch von alldem völlig unbeeindruckt. Im Gegenteil: es vergrößert sich schneller als jemals zuvor. Langzeiteffekte sind die Ursache.

Um von der unteren Atmosphäre, die wir in den letzten Jahrzehnten rücksichtslos mit FCKW vollgepumpt haben, über die Troposphäre und Tropopause bis in die Stratosphäre zu „klettern“, benötigen die Ozonkiller etwa 10 bis 15 Jahre. Das bedeutet aber, daß wir jetzt für die FCKW-Sünden von vor zehn Jahren bezahlen. Und das bedeutet auch, daß sich der Abbau des Ozonschutzschildes in den nächsten 10 bis 15 Jahren auf jeden Fall fortsetzen wird. Wer vor zehn Jahren in Sachen FCKW-Ausstieg noch vor einem überzogenen Aktionismus warnte und beim Ozonloch die Bringschuld der Wissenschaft einklagte, bekommt heute vom NASA-Satelliten die Quittung.

Diese Zeitverzögerung des Zerstörungsprozesses, die jegliche Sofortmaßnahmen ins Leere laufen läßt, hat etwas Gespenstisches und zugleich Endgültiges. Sollten nämlich durch die FCKW-Altlasten, die sich derzeit auf dem Marsch in die Stratosphäre befinden, eine kritische Grenze überschritten werden, wäre dies durch nichts und niemanden mehr aufzuhalten.

Exakt denselben zeitverzögerten Prozeß erleben wir derzeit beim Treibhauseffekt. Die Nicht-Klimapolitik von heute mit einer ungebremsten Zunahme der Treibhausgase (vor allem Kohlendioxid) wird sich in ihrer ganzen Wucht erst im nächsten Jahrtausend auswirken. Die Ostseeautobahn von heute ist der Wirbelsturm von morgen, der wachsende Energieverbrauch 1992 ist die vertrocknete Getreideernte 2012.

Aber offenbar sind zehn Jahre Vorausschau schon zuviel. Politiker denken in Legislatur- und Wahlkampfperioden. Manfred Kriener