Minister Töpfer lüftet ängstlich die Aktendeckel

■ EG-Richtlinie verpflichtet Behörden, Umweltinformationen offenzulegen

Bonn (taz) — Am 1. Januar öffnen sich die Aktenschränke. Von diesem Tag an müssen die Behörden in Bund, Ländern und Gemeinden den Bürgern freien Zugang zu allen bei ihnen verfügbaren Umweltinformationen gewähren. Wer an Daten über „den Zustand der Umwelt“ oder „Tätigkeiten oder Maßnahmen“, die diesen Zustand verschlechtern oder verbessern könnten, interessiert ist, muß seinen Wissensdurst nicht einmal eigens begründen. Die Behörden sind verpflichtet, innerhalb von zwei Monaten zu antworten.

Das ist keine Utopie, sondern geltendes EG-Recht, vom Rat der Gemeinschaft beschlossen im Juni 1990. Spätestens bis zum Jahresende sollten die Mitgliedsstaaten die Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Während Frankreich und die flämische Hälfte Belgiens dieser Aufforderung bereits nachgekommen sind, hat Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) bisher nur einen Entwurf vorgelegt. Gestern lud sein Ministerium Verbandsvertreter zu einer nichtöffentlichen Anhörung.

Für Greenpeace-Justitiar Clemens Arzt ist es fast schon ein Lichtblick, daß das Gesetz kaum noch rechtzeitig zum 1. Januar die Hürden nehmen wird. Gelingt das nämlich nicht, müssen die deutschen Behörden die EG-Richtlinie direkt anwenden. Diese wäre bürgerfreundlicher als der deutsche Entwurf, glaubt nicht nur Arzt.

Nicht um eine möglichst weitgehende Auslegung der EG-Vorgabe, sondern „allgemein um eine Zurückdrängung“ des von Brüssel eingeräumten Zugangsrechts habe sich das Ministerium in seinem Entwurf bemüht, urteilte etwa das Bremer Institut für Umweltrecht in einem Gutachten für den Deutschen Naturschutz Ring (DNR). Der DNR kündigte gestern eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof an. „In wesentlichen Punkten“ sei der Entwurf nicht mit der EG-Richtlinie vereinbar.

Greenpeace kam zu einem ähnlichen Urteil. „Nur gefiltert und zensiert“ wolle Töpfer Informationen nach draußen dringen lassen, klagt Justitiar Arzt. Schon die EG- Richtlinie habe zu viele Schlupflöcher gelassen und eine Reihe von Fällen aufgeführt, in denen die Behörden Auskünfte verweigern dürften: wenn die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse oder die pure Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden bedroht wäre. Töpfer habe diesen Katalog nicht nur voll ausgenutzt, sondern sei auch noch — in unerlaubter Weise— darüber hinaus gegangen. So will der deutsche Umweltminister „während der Dauer von verwaltungsbehördlichen Verfahren, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann“, Informationen sperren lassen. Konsequenz: Solange ein Bauantrag für eine Straße oder ein Genehmigungsantrag für ein Atomkraftwerk bearbeitet werden, gilt das Auskunftsrecht nicht.

Vollends auf verschlossene Aktenschränke könnten die Bürger stoßen, wenn sie etwas über die Emissionswerte konkreter Betriebe erfahren wollen. „Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse“ und der Datenschutz wurden von Töpfers Ministerium als mögliche Sperrungsgründe aufgeführt, ohne überprüfbare Entscheidungsmaßstäbe beizufügen. Für die Behörden werde es ein leichtes sein, mit Hilfe dieser Gummiparagraphen Informationsersuchen abzuschmettern, fürchtet Arzt.

Die Industrieverbände plagen genau entgegengesetzte Sorgen. Sie fürchten, über den Umweg der Behördenakten könnten auch Konkurrenten hinter Betriebsgeheimnisse kommen. Die deutsche Atomindustrie will sogar, so der Vertreter des Atomforums gestern in der Anhörung, ihre Daten ganz von der Auskunftspflicht ausnehmen lassen. Da fügt es sich gut, daß Töpfers Entwurf im Widerspruch zum EG-Recht den Behörden erlaubt, von auskunftsbegehrenden Bürgern selbst dann Gebühren zu verlangen, wenn die Auskunft verweigert wird. Hans-Martin Tillack