300.000 Arbeitslose mehr durch Sparpläne

Anhörung zur Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes: 5,2 Milliarden Mark sollen eingespart werden/ Kritik an Blüms Vorschlag, Arbeitslose zur Umweltsanierung einzusetzen  ■ Von Dorothee Winden

Bonn/Berlin (taz/dpa) — Der Vorschlag von Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU), Arbeitslose bei der Umweltsanierung in Ostdeutschland einzusetzen, ist von Arbeitsloseninitiativen scharf kritisiert worden. Wer drei Monate arbeitslos gemeldet ist, dem soll künftig nach Paragraph 249 h (AFG) eine ABM-Stelle „zugewiesen“ werden können, sofern er „in absehbarer Zeit“ nicht in andere Arbeit oder eine Ausbildung vermittelt werden kann. Dies gilt auch für Kurzarbeiter, die Kurzarbeitergeld beziehen und deren Arbeitszeit in den letzten dreizehn Wochen höchstens zehn Prozent betrug.

Die „Arbeitsförderung Umwelt Ost“ soll auf fünf Jahre befristet werden. Das Bündnis kritischer GewerkschafterInnen Ost/West bezeichnet die Maßnahme als „Zwangsarbeit“, die „ohne Ansehen der Person, deren Qualifikation und bisherigem Einkommen eingeführt wird“. „Arbeitsdienst“, nennt dies Dr. Hans-Jürgen Schütt, ein Sprecher des Arbeitslosenverbandes Deutschland. Aus dem Bundesarbeitsministerium heißt es, daß es sich keineswegs um eine Zwangsmaßnahme handle. Wer das Angebot ablehne, müsse nur dann mit einer Sperrzeit rechnen, wenn die Arbeit zumutbar wäre.

Auch andere geplante Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes wurden gestern bei einer Anhörung des Arbeitsausschusses des Bundestages von ExpertInnen kritisiert. Die Bonner Sparpläne für die Bundesanstalt für Arbeit werden nach Ansicht der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit um 300.000 Personen führen. „Dies ist arbeitsmarkt- und sozialpolitisch unverantwortbar“, so Freitag. Die geplanten Einsparungen in Höhe von 5,2 Milliarden Mark treffen vor allem arbeitslose Frauen, Jugendliche, ältere Arbeitnehmer und Behinderte. Kritik kommt daher nicht nur von den Arbeitslosenverbänden, sondern auch von der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die bereits ankündigte, der Novellierung in dieser Form im Bundesrat nicht zuzustimmen. Allerdings berücksichtigt der Entwurf auch eine der Forderungen von Gleichstellungsministerin Ilse Ridder-Melchers (SPD): Frauen sollen künftig entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen gefördert werden – so zumindest die Absichtserklärung.

Anlaß für die Sparnovelle ist die Streichung der Bundeszuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit für das Jahr 1993. Im einzelnen sollen Einarbeitungszuschüsse von 50 auf 30 Prozent verringert und die Bezugsdauer um die Hälfte gekürzt werden. Dadurch sollen 550 Millionen Mark gespart werden. Dies trifft vor allem Frauen, die nach der sogenannten Familienphase wieder in das Berufsleben zurückkehren wollen. Auch der nachträgliche Erwerb des Hauptschulabschlusses für arbeitslose Jugendliche soll nicht mehr gefördert werden. Spareffekt: 25 Millionen.

Eingliederungsleistungen für Aussiedler zahlt künftig der Bund, eine Eingliederungshilfe ist nur noch bei Bedürftigkeit vorgesehen. Die Förderhöhe wird von 70 auf 60 Prozent verringert, die Bezugsdauer von 312 auf 156 Tage verkürzt. Die Arbeitslosenhilfe für Aussiedler soll ganz gestrichen werden.

1,5 Milliarden Mark sollen bei Fortbildung und Umschulung eingespart werden. Wer für die Weiterbildung Leistungen beziehen will, muß sich zuvor vom Arbeitsamt beraten lassen. Dies hält Dr. Hans-Jürgen Schütt für problematisch, weil damit der Arbeitsaufwand der ohnehin überlasteten Arbeitsämter zusätzlich erhöht wird. Auch der Kreis der Förderungswürdigen soll eingeschränkt werden. An Maßnahmen soll nur noch teilnehmen können, wer ein Jahr arbeitslos ist. „Hierdurch wird nicht die Arbeitslosigkeit bekämpft, sondern die Langzeitarbeitslosigkeit gefördert“, meint der Koordinierungsausschuß Nordrhein eines regionalen Zusammenschlusses von Arbeitsloseninitiativen.

Besondere Leistungen zur beruflichen Rehabilitation sollen nur noch dann gewährt werden, wenn sie auch tatsächlich aufgrund der Behinderung notwendig sind. Einspareffekt: 500 Millionen Mark.

Bei AB-Maßnahmen in Ostdeutschland soll die Übergangszeit, in der ein 90- bzw. 100prozentiger Lohnzuschuß gezahlt wird, verlängert werden. Die Arbeitszeit der ABM-Kräfte wird jedoch von 100 auf 80 Prozent gesenkt. Der Koordinierungsausschuß sieht darin „einen ersten Schritt zu untertariflicher Entlohnung“.