Mit Samba und Nationalhymne feierten die Brasilianer am Dienstag abend die Suspendierung ihres Präsidenten Collor de Mello. Kurz zuvor hatte das Abgeord- netenhaus das Amtsenthebungsverfahren beschlossen. Aus Brasilia Astrid Prange

Brasilien feiert Collors Sturz mit tropischer Fiesta

Zum ersten Mal in der Geschichte Brasiliens zwingt eine Korruptionsaffäre den Präsidenten des Landes, seinen Regierungspalast vorzeitig zu verlassen. Fernando Collor de Mello, im November 1989 nach 21 Jahren Militärdiktatur (1964 bis 1985) und vier Jahren unter der von den Militärs eingesetzten Regierung Sarney vom Volk zum Präsidenten Brasiliens gewählt, ist am Dienstag abend vom brasilianischen Parlament vorübergehend seines Amtes enthoben worden. Eine überwältigende Mehrheit von 441 der 480 anwesenden Abgeordneten stimmte für das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten, 23 waren nicht erschienen. Durch die historische Abstimmung wird Collor für 180 Tage seines Amtes enthoben; während der kommenden sechs Monate läuft der Prozeß gegen das angeschlagene Staatsoberhaupt im Senat weiter.

Ganz Brasilien hielt während der Abstimmung den Atem an. Als mit der 336. Stimme die notwendige Zweidrittelmehrheit für das impeachment im Parlament zustande kam, brach auf der Tribüne ein Sturm der Begeisterung los. Alle im Plenarsaal anwesenden Abgeordneten und Journalisten, Sicherheitskräfte und Putzfrauen umarmten sich mit Tränen in den Augen. José Genoino, Abgeordneter der Arbeiterpartei PT, fiel vor Freude in Ohnmacht. Draußen vor dem Kongreß entzündete sich ein wahres Lichtermeer aus Kerzen und Feuerzeugen. In allen brasilianischen Großstädten ging das Volk auf die Straße, um den Sieg der Demokratie zu feiern. Wochenlang hatten Hunderttausende gegen Collor und für mehr Sauberkeit in der Politik demonstriert. Jetzt explodierte die Lebensfreude, es war wie zu Karneval.

„Die Nation ist aufgewacht, zu lange hat der Präsident das Volk belogen“, wetterte der Abgeordnete Nelson Jobim, Wortführer der parlamentarischen Kommission, die dem Plenum am Dienstag die Entscheidung über das Amtsenthebungsverfahren zur Abstimmung vorlegte. Jobims Kollege Ulysses Guimaraes ließ kein gutes Haar an dem Präsidenten: „Es gibt einfach kein treffendes Wort, das das ruinöse Verhalten Collors beschreiben könnte“, erklärte der älteste Abgeordnete. Sao Paulos mächtiger Gouverneur Luis Antonio Fleury brachte das Gefühl der wiedergewonnenen Hoffnung, das die Brasilianer am Dienstag ergriff, auf den Punkt: „Ich bin enorm erleichtert. Brasilien hat eine große Zukunft“, verkündete er vor laufenden Fernsehkameras. PT-Abgeordneter José Dirceu brachte bereits den ersten Gesetzentwurf nach Einleitung des Verfahrens im Parlament ein: Der 29. September soll in Brasilien künftig Nationalfeiertag sein.

Unterdessen hüllte sich Präsident Collor, der die Abstimmung im Abgeordnetenhaus hundert Meter entfernt im Regierungspalast im Fernsehen verfolgte, in eisiges Schweigen. Über seinen ehemaligen Justizminister Celio Borja ließ er die Nation wissen, daß er die Entscheidung des Parlaments respektiere und nun seinen Prozeß im Senat abwarten werde. Nach der Abstimmung traten alle Minister der Regierung Collor zurück.

Der Abgeordnete Paulo Otavio, ein enger Vertrauter des Präsidenten, ist hingegen von Collors Unschuld überzeugt. „Collor wurde politisch gelyncht. Wenn sich der Gefühlsausbruch nach den Kommunalwahlen vom 3. Oktober gelegt hat, wird er im Senat in aller Ruhe seine Verteidigung vorlegen. Er geht bis zum bitteren Ende, das ist eine Frage des Charakters“, versicherte der Abgeordnete. Paulo Otavio zählt zu den wenigen Verbündeten, auf die Präsident Collor noch zählen kann. Sogar Collors Bruder Pedro, der zur Zeit in Miami lebt, ließ die Nation wissen, daß er das Amtsenthebungsverfahren gegen seinen Bruder begrüße. Das Nesthäkchen der Familie Collor brachte vor vier Monaten den Korruptionsskandal, über den sein Bruder stolperte, an die Öffentlichkeit. Seine Enthüllungen, wonach Präsident Collor zusammen mit seinem Unternehmerfreund Paulo Cesar Farias die brasilianischen Staatsfinanzen plünderte, waren es, die zur Gründung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (CPI) geführt hatten.

Die Ergebnisse der CPI waren so eindeutig, daß selbst Regierungsvertreter die Schuld Collors indirekt zugaben. Präsident Collor werden insgesamt fünf Vergehen vorgeworfen, darunter passive Korruption und unrechtmäßige persönliche Bereicherung. „Collor ist nicht schuldig, er wurde hintergangen. Aber er hat nichts getan, um die Korruption um ihn herum zu verhindern“, gestand der Abgeordnete Elisio Curvo ein. Dennoch hält auch er eine Rückkehr Collors in sechs Monaten für ausgeschlossen.

Vizepräsident Itamar Franco hüllte sich ebenfalls in tiefes Schweigen. Er verbrachte sowohl Montag als auch Dienstag hinter verschlossenen Türen und hielt mit verschiedenen Fraktionsvorsitzenden und Gouverneuren Versammlungen ab. Neben Itamar avancierte Luis Inacio Lula da Silva, Vorsitzender der PT, nach der Abstimmung zum wichtigsten Mann in der brasilianischen Hauptstadt. „Dies ist ein großes Wunder, ich bin stolz“, jubelte Lula. Der unscheinbare Itamar wird noch in dieser Woche die Regierungsgeschäfte übernehmen. Wie seine künftige Regierungsmannschaft aussehen wird, wird sich erst in den nächsten Tagen entscheiden. Nur eines gilt als sicher: Itamar Franco ist nicht korrupt.