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Bahnen gegen den Zug der Zeit

■ Vor 25 Jahren wurde im Westteil die letzte Straßenbahnlinie eingestellt/ Tribut an autogerechte Stadt galt als Fortschritt/ Konzept für Gesamt-Berlin fehlt immer noch

Berlin. Von ganz oben, aus den Bürohochhäusern des Siemenswerks, winkten sie dem Wagenkorso sogar mit Handtüchern. Mehr wehmütig denn jubelnd, aber ohne Protest nahmen Tausende von Menschen vor genau 25 Jahren Abschied von ihrer Straßenbahn. Einige Museumswagen im Schlepp, fuhr am Vormittag des 2. Oktober 1967 die letzte Westberliner Straßenbahn, die Linie 55, von Hakenfelde endgültig ins Depot. »Mit Gesichtern, als hätten sie sogar Freude an diesem Trauerspiel«, hatten die BVG-Gewaltigen zuvor laut einem Zeitungsbericht der Presse geschildert, wie sie die letzte Straßenbahn zu Grabe tragen wollten. Die Gazetten waren sich damals mit der BVG, den Politikern und Stadtplanern aber im Grundsatz einig: Auf Rente gesetzt wird ein »veraltetes« Transportmittel, das von der modernen Verkehrsentwicklung »überrollt« worden sei. Es bestand ein unausgesprochener Konsens: Die Straße gehört den Autos.

In der unmittelbaren Zeit nach der Spaltung der Stadt im Jahre 1948 sah es für die Tram noch gut aus: Getreu dem alten Grundsatz, den sogenannten Oberflächenverkehr auf den Straßen in der Hauptsache von der Straßenbahn »bedienen« zu lassen, richtete die BVG im nun selbständig betriebenen Westnetz zahlreiche neue Linien ein. Anfang 1953, zum Schluß der Konsolidierungsphase, bimmelten in West-Berlin auf einem Netz von 437 Kilometern Züge. Ohne daß es einen spektakulären Stillegungsbeschluß gab, wurde dann im gleichen Jahr überraschend das Ende der Tram eingeleitet. Die BVG hatte im Senat erst einen Kredit zur Beschaffung von zunächst 40 Großraum-Straßenbahnwagen und 20 Bussen beantragt. Als der Kredit in Höhe von zwölf Millionen Mark bewilligt war, entschied der BVG-Beirat auf Vorschlag der Senatsabteilung für Verkehr jedoch anders: gegen die Bahn.

Paris als schlechtes Vorbild

Für den gesamten Betrag bestellte man lediglich 140 Doppeldeckerbusse — »um damit die Umstellung des Berliner Straßenbahnbetriebes auf Autobusbetrieb zu dokumentieren und zu beginnen«, so der damalige BVG-Direktor Walter Schneider in einem Buchrückblick. Schneider zufolge war die BVG-Direktion um eine Begründung nicht verlegen: Sie argumentierte vorneweg mit dem dringenden Bedarf an weiteren Bussen. Zusätzlich wurden verschiedene Mängel der gerade erprobten Großraumwagen ins Feld geführt, zum Beispiel die vergleichsweise geringe Sitzplatzzahl. Vor allem aber zeigte die »künftige Verkehrsentwicklung« eine »Tendenz zum Autobus«. Man verwies auf das Vorbild der Städte London und Paris, in denen der Bus bereits die Straßenbahn abgelöst hatten. Schneider: »Eine seinerzeit im Beirat angekündigte verkehrspolitische Debatte fand dann nicht mehr statt.«

Unumstrittenes Ziel der Verkehrsplaner des Senats war, das U- Bahn-Netz mit einem Aufwand von rund zwei Milliarden DM auf 200 Kilometer Streckenlänge zu erweitern. Der gesamte Zubringerverkehr der BVG auf den Straßen sollte in absehbarer Zeit allein durch Autobusse und O-Bus-Linien bewältigt werden. Den Wünschen der Bevölkerung schien dies nicht zu widersprechen. Verlangt wurde schon seit langem nach durchgehenden Omnibuslinien, weil diese schnell seien und auch Nebenstraßen in das Verkehrsnetz einbeziehen könnten. Im Stau standen die Großen Gelben erst später...

Aus Gleisbetten wurden Autoparkplätze

Bald nach dem Umwandlungsbeschluß gab es so die erste aufsehenerregende Streckenstillegung. Zugunsten von mehr Parkmöglichkeiten für den automobilen Geschäftsverkehr mußten auf dem Kurfürstendamm die hinderlichen Tramlinien 76 und 79 weichen. »Dabei wäre gerade der Kurfürstendamm ein angemessener Einsatzort für die eleganten Großraumwagen-Züge gewesen«, bedauerte ein Straßenbahn-Chronist. Für die Straßenbahn sei leider das Umdenken zu spät gekommen: »Der immer größer werdende Parkplatzmangel, der im Jahr 1954 mit ein Anlaß zur Beseitigung der Straßenbahn war, hat die Behörde nicht daran gehindert, Ende der siebziger Jahre auf einem Teil des Kurfürstendamms die Parkplätze auf dem Mittelstreifen wieder aufzugeben und ihn mit Hochbeeten zu rekultivieren.« Das Tramnetz schrumpfte indes unaufhaltsam weiter. Schon 1958 überwog zum ersten Mal die Zahl der Autobuslinien. Drei Jahre später erwies sich die forcierte Verschrottung von Straßenbahnwagen erstmals als voreilig: der Mauerbau und der anschließende S-Bahn-Boykott brachten solch einen unerwarteten Zustrom von Fahrgästen, daß die BVG für teures Geld Reisebusse westdeutscher Unternehmen anmieten mußten.

Inzwischen betrachten die meisten Verkehrsplaner die Einstellung der »Elektrischen« als schweren Fehler. Sie betonen, daß Straßenbahnen sich längst vom lärmenden Verkehrshindernis zum umweltfreundlichen und komfortablen Transportmittel entwickelt haben. Durch eigene Trassen sei die Straßenbahn schneller als Busse und könne mehr Fahrgäste anziehen. Genauso sieht es mittlerweile auch die BVG. Der Verkehrsbetrieb möchte das zentrale Stadtgebiet zwischen Zoo und Alexanderplatz wieder mit einer Tram erschließen. Doch der (Noch-)Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) hat auch drei Jahre nach dem Mauer-Fall kein ausführungsreifes Konzept für einen gesamtstädtischen Straßenbahnbetrieb vorgelegt, geschweige denn Planfeststellungsverfahren für Ost-West-Streckenverlängerungen eingeleitet.

Straßenbahner stellen sich am Jahrestag quer

Vor allem wegen dieser nicht erfüllten Erwartungen wird der 25.Jahrestag des Tram-Abschieds heute nicht spurlos an der Stadt vorbeigehen. So planen eine Reihe von Straßenbahnern aus dem Ostteil eine medienträchtige Protestaktion. Die Straßenbahner wollen ihren Unmut über das fehlende Ausbaukonzept und die schleppende Sanierung des vorhandenen Tramnetzes ausdrücken.

Die AG Straßenbahn aus sieben Verkehrs- und Umweltinitiativen hat außerdem unter dem Motto »Tram nach Charlottenburg« einen »Straßenbahntag« im Bezirk angekündigt. Zunächst soll um 16 Uhr im Rahmen eines Festumzugs eine selbstgebaute Tram vom Bahnhof Zoo zum Rathaus Charlottenburg geschoben werden. Um 17.30 Uhr wird dort die Ausstellung »Renaissance der Straßenbahn« eröffnet. Für 19.30 Uhe ist dann im Rathaus eine Diskussion zur »Straßenbahnpolitik in Berlin« geplant. Thomas Knauf

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