: Abgesichert und verfettet
■ Ein Gespräch mit dem schwulen Filmhistoriker Manfred Salzgeber
taz: Wie definiert sich für dich schwuler Film, schwule Filmgeschichte?
Salzgeber: Ich gehe von Zuschauern und Machern aus. Ich möchte meine Filme sehen und nicht Filme, die eine mir fremde Gefühlswelt zeigen. Ein Schwuler macht Filme mit einer anderen Sensibilität. Als Filmhistoriker habe ich auch zu fragen, inwieweit sich Schwule verstellen mußten, inwieweit sie andere Geschichten erzählen mußten, als sie wollten. Wenn man zum Beispiel bei Visconti oder Tennessee Williams manche Frauencharaktere durch einen Mann ersetzt, dann stimmen die Figuren plötzlich.
Der amerikanische Filmhistoriker Vito Russo hängt seine schwule Filmgeschichte »The celluloid closet« daran auf, wann, wo und in welchem Zusammenhang schwule und lesbische Charaktere im Kino auftauchen.
Russo ist ein akribischer Kolumnist, das ist eine legitime Herangehensweise. Ich finde es allerdings interessanter, die Substories zu erzählen. Ich sehe zum Beispiel »Denn sie wissen nicht, was sie tun« mit James Dean durchaus als schwulen Film. Dazu muß man eben auch die Hintergründe wissen, aus denen er entstanden ist. Einerseits gibt es die Recherche, andererseits die ganz offensichtliche homosexuelle Interaktion. Man muß nicht detektivisch hinterherkramen, viel spannender ist es zu zeigen, wie Homosexualität unterdrückt wurde und sich trotzdem manifestiert. Howard Hawks zeigt nicht nur einfache Männerfreundschaften. Da ist immer eine erotische Spannung.
Gibt es denn eigentlich wirklich so etwas wie eine schwule Ästhetik?
Wenn in George Cukors »Rich and famous« Jacqueline Bisset mit einem netten Mitreisenden im Flugzeug einen Quickie macht, ist das so montiert, wie Schwule ein sexuelles Erlebnis als Anekdote erzählen. Es gibt eine bestimmte Manier, Geschichten zu erzählen, die eindeutig schwul ist. Lubitsch hat eine schöne direkte heterosexuelle Art und einen gesunden Zynismus in seinen Komödien. Bei Cukor herrschen dieselben Verhältnisse, aber irgendwie hat das einen anderen Schwung, es ist viel eleganter. Lubitsch hat nie mit einem anderen Mann Walzer getanzt, Cukor hat das wohl getan. Das merkt man am Stil.
Auch bei Homolulu gibt es eine — mittlerweile bei schwulen Filmreihen fast obligate — Porno- Nacht. Beweist dies nur, daß Schwule sexistischer sind als Heteros, oder sind schwule Pornos tatsächlich künstlerischer als Beate- Uhse-Produkte?
Schwule Pornos sind wahrer als Hetero-Pornos. Ein schwuler Porno bedingt, daß jemand einen Orgasmus hat. Deshalb muß er auch eine gewisse Lust empfinden. Das ist ein anderer Umgang mit Sexualität, kein solches Affentheater wie bei Hetero-Pornos. Pornographie im Schwulenbereich hat etwas sehr Angenehmes und Entspannendes. Ich arbeite und ich ficke. Das gehört zusammen und bedingt sich. Würden wir mehr Filme haben, in denen Sexualität eine ganz natürlich eingebundene Rolle spielt, dann bräuchte man die Klassifizierung Porno überhaupt nicht.
Der Dokumentarfilm nimmt in deinem Programm großen Platz ein...
Kino ist ein Lebensersatz, eine Droge im guten Sinn. Der Dokumentarfilm bringt einen wieder in die Realität zurück. Deshalb ist er so wichtig.
»Viel zuviel verschwiegen«, »Verzaubert« und der Act-up- Kurzfilm »Willkommen im Dom«, die alle im Rahmen von Homolulu laufen, sind seit Jahren die ersten Dokumentarfilme, die sich mit der Situation von Lesben und Schwulen in Deutschland beschäftigen. In den USA hat das eine kontinuierliche Tradition. Wieso läuft hierzulande so wenig auf diesem Gebiet.?
Das liegt an den freundlich-faschistischen Gremien. Es gab in den letzten zwanzig Jahren genug Anträge, die alle abgelehnt wurden. Außerdem besteht in den USA nicht ein solches soziales Netz wie hier. Daraus entsteht eine ganz andere Wut, und das spiegelt sich natürlich wider. Wir sind sehr abgesichert und verfettet. Die Selbstzensur ist ein furchtbar schlimmes Mittel. Wenn ich die amerikanischen Aids-Filme zum Fernsehen bringe, sagen die Redakteure, damit würde man nur eine Pogromstimmung schüren. Selbst angesichts einer Epidemie ist die sogenannte schweigende Mehrheit nicht fähig, von einer Minderheit, die auf die Pauke haut, zu lernen. Wir sind eine verbohrte Gesellschaft. Interview: Gerd Hartmann
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