Japaner studieren neue Weltoffenheit

■ Eine der großen Privatuniversitäten aus Japan eröffnet eine Filiale in Alt-Schmöckwitz im Südosten Berlins — und muß ihre Studierenden den Umgang mit deutschen Skinheads lehren

Schmöckwitz. Die Haltestelle heißt Alt-Schmöckwitz, und an dem idyllischen Plätzchen, wo die Dreißiger-Jahre-Waggons der Berliner Tram Nummer 86 ihre Kehre machen, sitzen vier junge Japaner. Nicht etwa ein Badeausflug hat sie an den Zeuthener See verschlagen. Sie studieren hier: Teikyo University Berlin Campus steht mitten in einem Wald vor dem repräsentativen Gebäude am Jagen 17-20.

Nachfolger in Harry Tischs Domizil

Früher verbrachten die Präsidialen des DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB ihre Wochenenden in »Harry Tischs Ferienhaus«. Heute haben hier Studierende der »Teikyo Education Corporation« ihr Zuhause. Teikyo verkauft Bildung; zu dem Konzern gehört etwa die fünftgrößte Privatuniversität in Japan, die zugleich eine der teuersten ist: 24.000 DM kostet der einjährige Studienaufenthalt in Schmöckwitz. Vom Kindergartenbesuch bis zur Erringung des Doktorhuts reicht das Angebot von Teikyo. Filialen gibt es in Japan, USA, Großbritannien, den Niederlanden — und nun auch in Berlin. In Schmöckwitz, ganz genau »on the shores of a beautiful lake«, wie die konzerneigene Teikyo Kokusai News schreibt.

»Deutschland ist nach der Wende interessant geworden«, faßt Rie Yamamoto, die Dolmetscherin, knapp zusammen, was fünf 18- bis 20jährige JapanerInnen bewegt habe, ihr Studium in Berlin zu beginnen. Für den 19jährigen Shinsei Ohba ist die Mentalität der Deutschen und der Japaner ähnlich — und ihre Geschichte. Deutschland, findet der junge Mann, sei seinem Land voraus: weil hier der Zweite Weltkrieg mit der Wiedervereinigung überwunden sei; aber sie, die Japaner, müßten die Kurilen erst von Rußland wiederbekommen, jene pazifische Inselkette im Norden Japans.

Zum Einstieg Opfer deutscher Gewalt

Daß manche Deutsche weder mit ihrer Vergangenheit noch mit ihrer Gegenwart umzugehen wissen, diese Erfahrung machten einige der japanischen Studenten bereits drei Tage nachdem sie im April ihr Studium hier aufgenommen hatten. Am S-Bahnhof Ostkreuz begannen einige marodierende Skinheads, die jungen Japaner anzupöbeln. Es gab Handgreiflichkeiten, eine Brille ging zu Bruch, vor allem aber blieb ein gehöriger Schreck bei den jungen Leuten zurück. Sie trauen sich seitdem nicht mehr recht fort von ihrem Campus, weit draußen in Schmöckwitz.

Die Teikyo Kokusai News warb für das Studium in Schmöckwitz, weil die Studierenden binnen einer Stunde »museums, theaters and concerts« in Berlin, einem Zentrum europäischer Kultur, erreichen könnten. Nun stößt diese Stunde den Verantwortlichen der »Teikyo Berlin GmbH« bitter auf. Man merkt dem akademischen Direktor Lothar Peterwitz seine Wut und Trauer darüber an, daß er, der jahrelang in China und Japan war, nun der Jugend dieser Länder Ratschläge geben muß, wie sie sich seine ausländerfeindlichen, prügelnden Landsleute vom Hals halten kann.

Vorbereitung auf den europäischen Wirtschaftsraum

Derweil sollen die jungen Japaner hier »eine etwas andere Weltsicht bekommen«, so Lothar Peterwitz, der das Lehrprogramm von Teikyo Berlin entworfen hat. Es ist abgestimmt auf das prononciert liberale und weltoffene Konzept der »Teikyo University Group«. Zu den General Studies, die das Schmöckwitzer Lehrpersonal und reputierte deutsche Professoren lesen, gehören »Internationale Angelegenheiten und globale Probleme«, europäische Geschichte seit der Entdeckung Amerikas und die deutsch-japanischen Beziehungen. Die StudentInnen lernen außerdem zwölf Stunden Deutsch pro Woche, sie haben Englischunterricht und Sport, der hier »Human Body and Therapeutics« heißt und das Körperverständnis fördern soll.

28 Semesterwochenstunden, ein strammes Programm, neben dem noch Zeit bleiben sollte für »German lifestyle and friendships«. Möglichkeiten dafür haben die angehenden japanischen Twens zuhauf: Teikyo bietet ein Freizeitprogramm von Jazz-Dance über Klöppeln bis hin zu Golf an, letzteres auf eigene Kosten. Wer will, kann zwei Wochenenden pro Semester in einer deutschen Familie verbringen. Was wirklich läuft, ist Fußball. Fünf Studenten trainieren zweimal die Woche beim SV Schmöckwitz- Eichwalde mit.

Ausgerichtet auf den Job

Die Zukunftspläne der jungen JapanerInnen sind reihum wirtschaftlicher Natur. Asahi Ueda will die Firma seines Vaters mit 300 Beschäftigten übernehmen, der zwanzigjährige Kenitchi gibt »Exportkaufmann« als Berufsziel an. Nur Hiromi Sawa, eine der 13 Frauen unter den 41 Studierenden an der Teikyo University, plant anders. Übersetzerin will sie werden und am liebsten in Deutschland arbeiten und leben.

Überrascht waren sie indes alle, daß sie so viel lernen müssen in der Berliner Außenstelle der Teikyo- Universität.

Über die Qualität des späteren Jobs entscheidet in Japan der Ruf der besuchten Universität. Die besten der über 400 japanischen Hochschulen haben ein entsprechend hartes Zulassungsverfahren, als »shiken jigoku« oder zu deutsch »Prüfungshölle« verschrien. Danach geht es dann eher gemach zu.

Anders in Schmöckwitz, obwohl es an den Ufern des Zeuthener Sees doch so gut ausruhen wäre.

In »Harry Tischs Ferienhaus«, das die »Teikyo Education Corporation« zu kaufen beabsichtigt, gibt es Sauna, Kraftraum, Videozimmer; draußen wartet ein Volley- und Basketballfeld sowie das Prunkstück des Campus: im Bootshaus versteckt sich eine richtige Yacht, die samt ihrer 500 PS von Teikyo auch kommerziell gemietet werden kann. Teikyo verkauft eben nicht nur Bildung. Christian Füller