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Eine lange Nacht im U-Bahn-Schacht

Warum Nachtschwärmer auf die Untergrundbahn verzichten müssen: Zwischen eins und halb fünf reparieren in den Tunnel Arbeiterkolonnen Gleise und elektrische Anlagen  ■ Miriam Hoffmeyer

Tempelhof. Donnerstag, 0.52 Uhr: Im U-Bahnhof Tempelhof verschwinden die Schlußlichter der letzten U6 Richtung Alt-Mariendorf in der Tunnelkurve. Nachtschwärmer haben das Nachsehen und die Wahl zwischen Taxi und Nachtbus.

Immer wieder fordern Bürger und Politiker — zuletzt die Fraktion Grüne/Bündnis 90 —, alle U-Bahnen rund um die Uhr einzusetzen. »Das wäre unwirtschaftlich«, meint dazu Konrad Lorenzen, Direktor Verkehr und Technik bei der BVG. Vor allem könnten jedoch viele Wartungs- und Reparaturarbeiten nur erledigt werden, wenn der Strom in den Gleisen einige Stunden abgeschaltet werde — also zwangsläufig nachts. Was sich an Werktagen zwischen eins und halb fünf auf dem 143-Kilometer-Streckennetz der Berliner U-Bahn abspielt, führte die BVG in den frühen Morgenstunden des ersten Oktobers einer Wagenladung Journalisten vor.

Knapp zehn Minuten nach der letzten U-Bahn verläßt der BVG- Betriebszug unter ohrenbetäubendem Hupen die Station Tempelhof. Gezogen werden die drei offenen Wagen von einer Diesellokomotive, denn der 750-Volt- Gleichstrom in den Gleisen ist in diesem Bereich schon abgestellt. Im Tunnel Richtung Süden liegt der Muff von sechzig U-Bahn-Jahren. Nach etwa zweihundert Metern Fahrt kommt Bergwerks-Atmosphäre auf: Eine Kolonne von Arbeitern mit nacktem Oberkörper schuftet malerisch im Schein von Grubenlichtern. Mit riesigen Schaufeln schippen die Männer Schotter vom Gleis. »Die Schwellen sind hier 63 Jahre alt und müssen ausgewechselt werden, weil die Schienen nicht mehr fest aufliegen«, erklärt Gerd Schultze von der Abteilung Bau der BVG. Jede der sechzig Kilogramm schweren Holzschwellen wird in Handarbeit ausgetauscht. »Das ist noch genau wie vor hundert Jahren«, meint Schultze, »aber anders ist es nicht zu machen.« 1991 wurden im gesamten U-Bahn-Netz 6.500 Schwellen ausgewechselt, eine Arbeiterkolonne schafft 25 Stück pro Nachtschicht. »Am Morgen muß alles wieder picobello sein, ehe man sich's versieht, ist die erste U-Bahn schon da«, sagt Schultze. Was die Männer für die Schwerarbeit bekommen, weiß er nicht: »Die sind von einer Fremdfirma.« Die BVG beschäftigt in ihren Gleismeistereien 250 Arbeiter.

In dieser Nacht wurde an vierzig Stellen des U-Bahn-Streckennetzes gearbeitet. 6,5 Millionen Mark gab die BVG im vorigen Jahr allein für Arbeiten an den Gleisen aus. Außerdem werden nachts Signale kontrolliert und elektrische Defekte behoben. Allnächtlich fährt auch der Schleifzug der BVG im Schneckentempo durch die Tunnel und schleift die Riffel ab, die sich auf den Stahlschienen bilden. Dem Betriebszug kommt er nicht in die Quere, denn in dieser Nacht fährt er auf der Linie 8.

Ein Funkenregen erleuchtet das Abstellgleis auf der Strecke zurück zum U-Bahnhof Tempelhof. Eine Arbeiterkolonne umsteht den Schmelztiegel mit der 2.500 Grad heißen Aluminiumverbindung, mit der die Enden neuer Schienen verschweißt werden. Auf der anderen Seite des Tunnels werden Weichen kontrolliert. Krachend wird eine Weiche fünfmal umgelegt, während eine junge Arbeiterin mit einem Meßgerät, das aussieht wie ein Weihnachts-Strohstern, die Abweichungen mißt — den Kameras zuliebe gleich mehrmals. Zwei bis drei Millimeter trennen die Weiche von der idealen Einstellung. »Das geht noch, die Toleranzschwelle liegt bei drei Millimetern«, erklärt Klaus Janetschke, Hauptabteilungsleiter für elektrische Anlagen.

Auf einem schmalen Holzsteg geht es, vorbei an der Elektro- Schaltwarte, zurück zur Station Tempelhof. Für die späten Gäste werden die Eisengitter an den Ausgängen noch einmal aufgesperrt, während es unten im Schacht weiter rumort. In zweieinhalb Stunden geht der erste Frühzug.

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